Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler
reuevoll an. Wieder musste ich ihre Schönheit bewundern. »Ich kann manchmal eine fürchterliche alte Zicke sein.«
»Sie müssen sich für nichts entschuldigen, Miss Bancroft«, sagte ich. »Verständlicherweise sind wir beide … Nun, es ist nicht gerade die angenehmste Situation.«
»Nein«, stimmte sie mir zu. »Ich frage mich, ob es leichter wird, wenn wir ein paar Förmlichkeiten weglassen. Darf ich Sie bitten, mich Marian zu nennen?«
»Natürlich«, sagte ich. »Und ich bin Tristan.«
»Ein Ritter der Tafelrunde?«
»Nicht ganz.« Ich lächelte.
»Schon gut. Ich bin nur froh, dass wir das damit aus dem Weg geräumt haben. Ich glaube nicht, dass ich es noch viel länger ertragen hätte, Miss Bancroft genannt zu werden. Das klingt, als wäre ich irgendeine unverheiratete Tante.« Sie zögerte, biss sich auf die Lippe und fuhr im gleichen, fast schon schnodderigen Ton fort: »Ich nehme an, ich sollte Sie langsam fragen, warum Sie mir geschrieben haben.«
Ich räusperte mich. Damit waren wir also endlich so weit. »Wie ich in meinem Brief schon sagte«, erklärte ich ihr, »habe ich etwas von Will …«
»Meine Briefe?«
»Ja. Und ich dachte, Sie hätten sie vielleicht gerne zurück.«
»Es war nett von Ihnen, an mich zu denken.«
»Ich weiß, er hätte gewollt, dass ich sie Ihnen zurückgebe«, sagte ich. »Es scheint nur richtig.«
»Ich möchte nicht kritisch klingen, aber Sie haben sie ziemlich lange für sich behalten.«
»Ich versichere Ihnen, ich habe nicht einen Umschlag geöffnet.«
»Natürlich nicht. Das bezweifele ich keinen Moment. Ich frage mich bloß, warum Sie so lange gewartet haben, mit mir in Verbindung zu treten.«
»Es ging mir nicht gut.«
»Ja, natürlich.«
»Ich fühlte mich nicht in der Verfassung, Sie zu treffen.«
»Das ist nur verständlich.«
Sie blickte kurz aus dem Fenster und wandte sich dann wieder mir zu. »Ihr Brief war eine größere Überraschung für mich, als Sie es sich vorstellen können«, sagte sie. »Aber Ihren Namen hatte ich schon gehört.«
»Ach ja?«, fragte ich vorsichtig.
»Ja. Will hat oft geschrieben, wissen Sie. Besonders während der Ausbildung in Aldershot. Alle zwei, drei Tage kam ein Brief von ihm.«
»Ich erinnere mich«, sagte ich. »Ich meine, ich erinnere mich, dass er oft mit einem Block auf seinem Bett saß und schrieb. Die anderen haben ihn aufgezogen und gemeint, er schreibe wohl Gedichte oder so, wie es so viele getan haben. Aber er hat mir erzählt, dass er Ihnen schrieb.«
»Gedichte sind noch schlimmer als Romane«, bemerkte Marian und schien zu erschaudern. »O Gott, Sie müssen mich für eine fürchterliche Banausin halten angesichts all dessen, was ich hier von mir gebe.«
»Aber nein. Will war es jedenfalls egal, was die anderen meinen. Er schrieb die ganze Zeit. Es schienen unglaublich lange Briefe zu sein.«
»Das waren sie. Einige von ihnen«, sagte sie. »Ich glaube, er hatte literarische Ambitionen. Er schrieb mitunter sehr gewundene Sätze, vielleicht, um auf diese Weise seine Erfahrungen herausheben.«
»Hat er es gut gemacht?«
»Nicht besonders«, sagte sie und lachte. »Oh, ich will ihn nicht herabsetzen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, Mr Sadler.«
»Tristan«, sagte ich.
»Ja, Tristan. Nein, ich meine nur, dass er mir in diesen Briefen offensichtlich einige Dinge klarmachen wollte. Er wollte mir seine Gefühle erklären, die Angst und die bösen Vorahnungen, die während der Zeit in Aldershot in ihm aufkamen. Er schien ungeheuer viel Zeit damit zu verbringen, den Krieg herbeizusehnen – entschuldigen Sie, ich meine nicht in dem Sinne, dass er sich darauf gefreut hätte, es war mehr so …«
»Dass er nach vorn sah?«, schlug ich vor.
»Ja, das meine ich. Und es war interessant, weil er so viel sagte, und dann auch wieder nicht. Klingt das verständlich?«
»Ich denke schon«, antwortete ich.
»Er hat seine Tage geschildert und von einigen Kameraden erzählt, die mit ihm in der Ausbildung waren. Und von dem … Befehlshaber. Wie hieß er noch? Clayton?«
Ich spürte, wie sich mein Körper versteifte, und fragte mich, wie viel sie über Sergeant Claytons Verantwortung für die Geschichte wusste. Seine letzten Befehle. Und über die Männer, die ihm gehorcht hatten. »Ja«, sagte ich. »Der war bis zum Ende da.«
»Und wie hießen die beiden anderen noch? Links und Rechts hat Will sie genannt.«
»Links und Rechts?«, fragte ich und zog die Brauen zusammen, weil ich nicht gleich
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