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Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Titel: Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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verstand, wen sie damit meinte.
    »Er schrieb, sie wären Sergeant Claytons Assistenten oder so etwas. Einer stand immer links und einer rechts von ihm.«
    »Oh«, sagte ich und begriff endlich. »Damit muss er Wells und Moody gemeint haben. Komisch. Ich habe nie gehört, dass er die beiden so genannt hat. Wie seltsam.«
    »Nun, das hat er, und zwar immer«, sagte sie. »Ich würde Ihnen die Briefe ja zeigen, Tristan, aber stört es Sie, wenn ich es nicht tue? Sie sind doch ziemlich persönlich.«
    »Aber natürlich nicht«, sagte ich und begriff erst in diesem Moment, wie gerne ich sie gelesen hätte. Die Wahrheit war, dass ich nie viel darüber nachgedacht hatte, was Will nach Hause schrieb. Ich selbst hatte nur einmal aus Frankreich an meine Mutter geschrieben, einen langen Brief, in dem ich sie um Verzeihung für den Schmerz gebeten hatte, den ich ihr zugefügt hatte. Für meinen Vater hatte ich eine Nachricht mit in den Umschlag gelegt, dass es mir gut gehe und ich gesund sei, und ihm vorgelogen, es sei alles nicht so schlimm, wie ich es mir vorgestellt hätte. Ich sagte mir, dass er sich freuen würde, von mir zu hören, habe aber nie eine Antwort erhalten. Es war gut möglich, dass er den Brief morgens auf der Matte gefunden und gleich weggeworfen hatte, bevor ich noch mehr Schande über seine Familie bringen würde.
    »Die beiden scheinen ja fürchterliche Kerle gewesen zu sein, Links und Rechts«, sagte Marian.
    »Manchmal schon«, sagte ich nachdenklich. »Wobei sie es selbst auch nicht leicht hatten, um ehrlich zu sein. Sergeant Clayton war ein schwieriger Mann. Im Ausbildungslager war er schon schlimm genug, aber dann drüben …« Ich schüttelte den Kopf und atmete laut hörbar aus. »Er war schon dort gewesen. Mehrere Male. Wobei er kein Mann ist, vor dem ich irgendeine Achtung hätte. Im Gegenteil, schon der Gedanke an ihn verursacht mir Übelkeit, aber er hat auch einiges mitgemacht. Einmal hat er uns erzählt, wie sein Bruder vor seinen Augen getötet wurde und wie ihm … nun, wie ihm sein Gehirn über die Uniform gespritzt war.«
    »Großer Gott«, sagte sie und stellte ihre Tasse ab.
    »Später erfuhr ich, dass er noch drei weitere Brüder im Kampf verloren hatte. Es war nicht leicht für ihn, Marian, sicher nicht. Aber das ist keine Entschuldigung für das, was er getan hat.«
    »Warum?«, fragte sie und beugte sich vor. »Was hat er getan?«
    Ich öffnete den Mund, obwohl ich doch sicher wusste, dass ich noch nicht bereit war, diese Frage zu beantworten. Ich hätte nicht einmal sagen können, ob ich es je sein würde. Denn Claytons Verbrechen aufzudecken bedeutete, auch mein eigenes zuzugeben. Und das versuchte ich so tief in mir zu vergraben wie nur möglich. Ich war hier, um einen Stapel Briefe zurückzugeben, sagte ich mir. Allein deswegen.
    »Hat Ihr Bruder … Hat Will in seinen Briefen auch von mir erzählt?«, fragte ich nach einer Weile. Mein Bedürfnis, das zu erfahren, war stärker als die Furcht vor dem, was er ihr womöglich geschrieben hatte.
    »Aber sicher hat er das«, sagte sie etwas zögerlich. »Vor allem in den ersten Briefen. Ja, er hat ziemlich viel von Ihnen erzählt.«
    »Wirklich?«, fragte ich so ruhig, wie ich nur konnte. »Das freut mich.«
    »Ich weiß noch, dass sein erster Brief bereits wenige Tage nach seiner Ankunft in Aldershot kam«, sagte sie. »Er schrieb, es gebe zwei Gruppen zu je zwanzig Mann und er sei mit etlichen Leuten zusammen, die nicht gerade die anregendste Gesellschaft böten.«
    Ich lachte. »Also das stimmt. Ich glaube, viel Bildung hatten wir nicht zu bieten, keiner von uns.«
    »Dann, in seinem zweiten Brief ein paar Tage später, klang er etwas niedergeschlagen, die anfängliche Begeisterung war offenbar verflogen, er schien zu begreifen, was ihm bevorstand. Er tat mir leid, und ich schrieb ihm, dass er Freunde finden und sich Mühe geben müsse, das Beste aus der Sache zu machen, den üblichen Unsinn eben, den Leute wie ich sagen, die keinerlei Ahnung haben, sich aber das eigene Leben nicht durch die Sorge um andere verderben lassen wollen.«
    »Ich denke, da gehen Sie etwas zu hart mit sich ins Gericht«, sagte ich sanft.
    »Nein, sicher nicht. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Ich war voller Enthusiasmus, weil er in den Krieg zog. Lässt mich das wie ein Ungeheuer erscheinen? Sie müssen verstehen, Tristan, dass ich damals noch jünger war. Natürlich war ich jünger, das liegt auf der Hand. Ich meine, ich war schlechter

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