Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler
sicher nicht die, die sich täuscht, denn wie ich schon sagte, habe ich alles noch einmal nachgelesen, und es kann nur sein, dass er verwirrt war, in diesen schrecklichen, schrecklichen Gräben und mit all den Granaten, den Bomben …«
»Vielleicht sagen Sie es mir einfach«, sagte ich ruhig.
»Er schrieb, dass Sie getötet worden seien«, sagte sie, setzte sich gerade auf und sah mir direkt in die Augen. »Da, jetzt ist es heraus. Er schrieb, zwei Tage nachdem Sie Aldershot verlassen hätten, nur ein paar Stunden nachdem Sie in Ihrer Stellung angekommen seien, hätte Sie ein Scharfschütze erwischt. Er schrieb, es sei schnell gegangen und Sie hätten nicht gelitten.«
Ich starrte sie an, und mir wurde schwindelig. Hätte ich gestanden, ich wäre sicher gestürzt. »Er hat Ihnen geschrieben, ich sei tot?«, fragte ich. Die Worte klangen obszön in meinem Mund.
»Er muss jemand anders gemeint haben«, antwortete sie schnell. »Er hat in seinen Briefen von so vielen Leuten erzählt und muss sich verschrieben haben. Aber was für ein furchtbarer Fehler. Für mich sah es auf jeden Fall so aus, dass sie beide eben noch in Aldershot gewesen waren, die dicksten Freunde, und dann kommen sie nach Frankreich, und das Nächste, was ich höre, ist, das war’s: Sie sind nicht mehr. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, Tristan, obwohl ich Ihnen nie persönlich begegnet war, hatte das doch eine ziemliche Wirkung auf mich.«
»Mein Tod?«
»Ja. Wenn das nicht zu unsinnig klingt. Zum Teil lag es sicher daran, dass ich Ihren Tod gleich auf die sehr realistische Möglichkeit projiziert habe, dass auch Will umkommen würde, worüber ich mir in meiner Naivität bis dahin kaum Gedanken gemacht hatte. Ich habe tagelang geweint, Tristan. Um einen Mann, den ich nie kennengelernt hatte. Ich habe für Sie gebetet, obwohl ich sonst kaum bete, und mein Vater hat eine Messe zu Ihrem Gedenken gelesen. Können Sie sich das vorstellen? Er ist Priester, wissen Sie, und …«
»Ja«, sagte ich. »Ja, das weiß ich.«
»Auch ihm hat es schrecklich leidgetan. Wobei ich, wenn ich ehrlich bin, nicht glaube, dass er in seinen Gedanken allzu viel Platz für Sie hatte. Er hat sich so um Will gesorgt. Er hat ihn so sehr geliebt. Genau wie meine Mutter. Und dann das: Ich dachte, Sie seien im Krieg getötet worden, und plötzlich kommt, wie aus heiterem Himmel, drei Jahre später ein Brief von Ihnen.«
Ich sah aus dem Fenster. Auf der Straße war es ruhig geworden, und ich starrte auf das Pflaster, dessen Steine sich in Form und Größe unterschieden. Während der letzten Jahre hatte ich unsagbar gelitten, hatte mit solchen Gewissensbissen in Bezug auf Will und meinen Anteil an den Geschehnissen zu kämpfen gehabt und unendlich um ihn getrauert. Meine Gefühle für ihn waren so stark, dass ich fürchtete, nie darüber hinwegzukommen. Und jetzt hörte ich das, hörte, dass er mich nach unserem letzten Abend in Aldershot praktisch getötet hatte. Ich hatte geglaubt, dass er mir mein Herz nicht noch schlimmer hätte brechen können, als er es bereits getan hatte – und jetzt das. Jetzt das.
»Mr Sadler? Tristan?«
Ich sah Marian an und stellte fest, dass sie besorgt meine rechte Hand betrachtete, deren Finger unkontrolliert zuckten und tanzten, als wären sie Teil eines anderen. Wie etwas Fremdes kamen sie mir vor, etwas, das ein vorbeikommender Unbekannter auf dem Tisch zurückgelassen hatte und später wieder abholen wollte, eine merkwürdige Kuriosität. Ich fühlte mich gedemütigt, legte die linke Hand auf die Finger und bezwang sie so für den Augenblick.
»Sie müssen mich entschuldigen«, sagte ich und stand auf. Mein Stuhl fuhr zurück und kratzte mit einem lauten, unerträglichen Geräusch über den Boden.
»Tristan …«, sagte sie, aber ich schüttelte den Kopf.
»Ich bin gleich wieder da«, sagte ich und eilte zu den Toiletten auf der anderen Seite des Raumes, wohin auch sie anfangs verschwunden war. Als ich die Tür erreichte, voller Panik, dass mich das von Marian Ausgesprochene überwältigen könnte, bevor ich es auf die Toilette schaffte, sah ich den Mann aufspringen und sich mir in den Weg stellen, der vor ihr ins Café gekommen war und den Eindruck erweckt hatte, als beobachtete er mich.
»Entschuldigen Sie«, sagte ich. »Bitte.«
»Ich muss mit Ihnen reden«, sagte der Mann beflissen, ja aggressiv. »Es dauert nicht lange.«
»Jetzt nicht«, fuhr ich ihn an, unsicher, was er von mir wollte. Ich hatte ihn noch nie zuvor in meinem
Weitere Kostenlose Bücher