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Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Titel: Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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Reihe von ihnen. Eine Zeit lang konnte man nicht in die Stadt gehen, ohne ihn in Begleitung irgend so eines verrückten jungen Dings zu sehen, das sich in sein schönstes Sonntagskleid geworfen und dazu auch noch Blumen ins Haar gesteckt hatte, weil es dachte, ihn so einfangen zu können. Es waren so viele, dass ich den Überblick verlor.«
    »Er war ein gut aussehender Kerl«, bemerkte ich.
    »Ja, das war er wohl. Als Schwester ist es schwer, das so zu sehen. Fast so schwer wie für Sie, nehme ich an.«
    »Für mich?«
    »Nun, als Mann.«
    »Ja.«
    »Ich habe ihn natürlich damit aufgezogen«, fuhr sie fort. »Aber ihn schien das kaum zu berühren. Die meisten Jungs wären explodiert und hätten mir gesagt, ich solle meine Nase gefälligst in andere Sachen stecken, aber er hat nur gelacht und es an sich abperlen lassen. Er sagte, er mache eben gern lange Spaziergänge, und wenn ihn ein Mädchen dabei begleiten wolle, was solle er dann dagegen haben? Wobei, ehrlich gesagt schien er an keiner wirklich ernsthaft interessiert. Deswegen kam ich mit meiner Stichelei auch nicht weit. Es war ihm einfach egal.«
    »Aber er hatte doch eine Verlobte?«, fragte ich mit zusammengezogenen Brauen. Ich wusste nicht recht, was ich von alldem halten sollte.
    »Eine Verlobte?«, fragte sie, blickte auf und lächelte Jane zu, die uns in diesem Moment eine neue Kanne Tee auf den Tisch stellte.
    »Ja, er hat mir erzählt, er hätte eine Freundin zu Hause, und sie seien verlobt und wollten heiraten.«
    Marian hielt mitten im Einschenken inne und starrte mich an. »Sind Sie sicher?«, fragte sie.
    »Vielleicht täusche ich mich auch«, antwortete ich nervös.
    Marian sah aus dem Fenster, überlegte und sagte eine Weile nichts. »Hat er gesagt, wie sie hieß?«, fragte sie endlich.
    »Ich weiß nicht, ob ich mich richtig erinnere«, sagte ich, obwohl der Name fest in mein Gedächtnis gebrannt war. »Ich glaube, sie hieß Ann Soundso.«
    »Ann?«, wiederholte sie und schüttelte den Kopf. »Mir will keine Ann einfallen. Sind Sie sicher?«, fragte sie noch einmal.
    »Ich glaube schon«, sagte ich. »Nein, warten Sie. Jetzt habe ich es. Es war Eleanor. Er sagte, sie heiße Eleanor.«
    Marians Augen wurden ganz groß. Sie starrte mich ein paar Sekunden lang an und brach dann in Lachen aus. »Eleanor?«, sagte sie. »Doch nicht Eleanor Martin?«
    »An ihren Nachnamen kann ich mich nicht mehr erinnern.«
    »Aber sie muss es sein. Sie ist die einzige Eleanor. Nun ja, doch, die beiden hatten wohl irgendwann mal was miteinander. Sie war eine von denen, die ihm ständig hinterherliefen. Ich kann mir vorstellen, dass sie nichts lieber getan hätte, als ihn zu heiraten. Und ja«, Marian klopfte ein paarmal auf den Tisch, als fiele ihr gerade etwas Wichtiges ein, »sie war es auch, die ihm all die schmachtenden Briefe geschrieben hat.«
    »Nach drüben?«, fragte ich überrascht.
    »Möglicherweise, aber das kann ich nicht sagen. Nein, ich meine, sie schrieb ihm diese außergewöhnlichen Briefe nach Hause. Schreckliche, parfümierte Dinger mit gepressten Blumen, die ihm auf den Schoß fielen und auf den Teppich rieselten, wenn er die Umschläge aufriss. Ich weiß noch, wie er mich fragte, was die Blumen meiner Meinung nach bedeuteten, und ich sagte ihm, gar nichts, nur dass die Gute die Beschränktheit in Person sei, weil – und das können Sie mir glauben, Tristan – weil ich sie schon von klein auf kenne. Das Mädchen hat nicht mehr Verstand als eine Briefmarke. Ich weiß noch, dass sie ewig lange Aufsätze über die Natur geschrieben hat, über den Frühling, die Wiedergeburt, kleine Kaninchenjunge und solchen Unsinn, und diese Aufsätze hat sie mit in die Umschläge gesteckt, weil sie dachte, all das würde meinen Bruder irgendwie bezaubern. Ich weiß auch nicht, für wen sie sich hielt, für Lord Byron oder so jemanden? Was für eine Närrin!« Sie hob die Tasse an die Lippen und zögerte einen Moment. »Und Sie sagen, er hat behauptet, mit ihr verlobt zu sein?«, fragte sie. »Das kann nicht sein. Ich meine, wenn sie es behauptet hätte, könnte man es dem Umstand zuschreiben, dass sie völlig verrückt ist. Aber er? Das ergibt keinen Sinn.«
    »Vielleicht täusche ich mich ja auch«, sagte ich noch einmal. »Wir haben so viel geredet. Da ist es unmöglich, sich an alles zu erinnern.«
    »Ich bin sicher, dass Sie sich täuschen, Tristan. Mein Bruder mag ja zu vielem fähig gewesen sein, aber sein Leben mit solch einer Närrin zu verbringen, das

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