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Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Titel: Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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»Einverstanden«, sagte ich und stand auf, während Marian bereits in ihren Mantel schlüpfte. »Lassen Sie mich nur schnell den Tee bezahlen. Ich komme sofort nach.«
    Ich verfolgte, wie sie zur Tür und hinaus auf die Straße trat, wo sie sich den Mantel zuknöpfte und den Blick nach links und rechts wandte. Sie ähnelte Will nicht, die beiden waren vom Typ her sehr unterschiedlich. Dennoch erinnerte sie mich an ihn. Es war etwas an der Art, wie sie sich bewegte, ihr Selbstbewusstsein und wie sie einen spüren ließ, dass es ihr angenehmer wäre, ihre offensichtliche Schönheit bliebe unbemerkt. Ich musste lächeln und wandte mich der Theke zu, um den Tee zu bezahlen.
    »Es tut mir leid wegen vorhin«, sagte ich zu Jane, unserer Kellnerin, als sie mein Geld entgegennahm und das Rückgeld aus der Kasse zählte. »Ich hoffe, wir haben Sie nicht verärgert.«
    »Sie müssen sich nicht entschuldigen«, sagte sie. »Waren Sie ein Freund von Will?«
    »Ja«, sagte ich. »Wir haben zusammen gedient.«
    »Was für eine Schande«, zischte sie und beugte sich mit funkelnden Augen über die Theke. »Was mit ihm geschehen ist, meine ich. Was für eine fürchterliche Schande. Da schämt man sich, ein Bürger dieses Landes zu sein. Sie werden hier nicht viele finden, die mir da zustimmen würden, aber ich kannte ihn, und ich weiß, was für ein Mann er war.« Ich schluckte und nickte, nahm die Münzen, die sie mir reichte, und steckte sie stumm in meine Tasche. »Es gibt wenige Menschen, die ich so sehr respektiere wie Marian Bancroft«, sagte sie. »Marian ist einmalig. Trotz allem, was geschehen ist, bietet sie den zurückgekehrten Soldaten ihre Hilfe an. Wobei sie, wenn man es genau betrachtet, Grund genug hätte, sie zu hassen. Aber das tut sie nicht. Ich muss sagen, da begreife ich sie nicht ganz. Was das angeht, ist sie ein Rätsel für mich.«
    Ich zog die Brauen zusammen, hatte ich doch Marian noch nicht einmal gefragt, was sie hier in Norwich machte, wie sie ihre Tage verbrachte, ihre Stunden füllte. Das war typisch für Männer wie mich. Wir waren so sehr mit uns selbst beschäftigt, dass wir erst gar nicht auf den Gedanken kamen, auf dieser Welt könnte es auch noch andere Probleme geben. Die Glocke über der Tür klingelte kurz, jemand ging hinaus, und ich dankte Jane und verabschiedete mich.
    Bevor ich das Café verließ, befühlte ich meine Taschen nach meiner Brieftasche und dem Bündel Briefe, das immer noch in meinem Mantel steckte, öffnete endlich befriedigt die Tür und trat hinaus. Marian hatte recht: Es war ein schöner Tag. Hell und warm, ohne Wind und nicht zu grell. Es war der perfekte Tag für einen Spaziergang, und mit einem Mal sah ich Will über diese gepflasterten Straßen gehen, neben sich ein unglückliches, verliebtes Mädchen, das alles tun würde, um bei ihm bleiben zu dürfen. Die Kleine warf scheue Blicke auf Wills hübsches Gesicht und hoffte, dass er hinter der nächsten Ecke, wo sie niemand mehr sah, das Unerwartete, aber Natürlichste überhaupt tat, sich zu ihr hindrehte, sie in die Arme nahm und an sich zog.
    Ich schüttelte den Kopf, schob das Bild beiseite und sah mich nach Marian um. Sie stand drei, vier Meter entfernt, aber nicht allein. Der Mann aus dem Café war ihr gefolgt und stand wild gestikulierend vor ihr. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, und sah die beiden nur an, bis ich etwas Aggressives in seinem Verhalten zu entdecken glaubte. Schnell ging ich auf die beiden zu.
    »Hallo«, sagte ich. »Ist alles in Ordnung?«
    »Und du«, sagte der Mann, hob die Stimme, stieß einen Finger in meine Richtung und sah mich wutentbrannt an, »du hältst dich am besten zurück, mein Freund, weil dich das hier nichts angeht. Wenn du auch nur noch einen Schritt näher kommst, kann ich für nichts garantieren, das schwöre ich dir. Hast du mich verstanden?«
    »Leonard«, sagte Marian und stellte sich zwischen uns. »Das hat mit ihm nichts zu tun. Hör endlich auf, wenn du es später nicht bereuen willst.«
    »Du sagst mir nicht, was ich tun soll, Marian«, sagte er, und damit wusste ich wenigstens, dass die beiden sich kannten und es sich nicht um irgendeinen Kerl von der Straße handelte, der sie angriff. »Du beantwortest meine Briefe nicht, du willst nicht mit mir sprechen, und dann suchst du dir auch noch einen anderen und brüstest dich direkt vor meiner Nase mit ihm. Was glaubst du eigentlich, wer du bist?«, fragte er, und diese Frage war wieder an mich gerichtet. Ich

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