Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler
gesagt haben soll. Sie wohnt hier noch, wissen Sie.«
»Wirklich?«, fragte ich überrascht.
»O ja. Ich meine, sie ist in Norwich geboren und aufgewachsen. Letztes Jahr hat sie einen Mann geheiratet, der es wirklich besser hätte wissen sollen, aber er stammt aus Ipswich, und ich denke, da nimmt man, was man hier kriegen kann. Sie treibt sich ständig in der Stadt herum. Mit dem nötigen Pech läuft sie uns später über den Weg.«
»Ich hoffe nicht«, sagte ich.
»Warum sagen Sie das?«
»Ohne besonderen Grund. Ich bin einfach … nicht an ihr interessiert, das ist alles.«
»Aber warum sind Sie das nicht?«, fragte sie. »Mein Bruder, Ihr bester Freund, sagt Ihnen, dass er verlobt ist und heiraten will. Ich sage Ihnen, dass es so eine Verlobung meines Wissens nie gab. Warum sollte es Sie da nicht interessieren, diese Helena zu sehen, die sein Herz so gefangen genommen hat?«
»Miss Bancroft«, sagte ich mit einem Seufzen, lehnte mich zurück und rieb mir die Augen. Sie hatte Will meinen besten Freund genannt, und ich war mir nicht sicher, ob ihre Schlussfolgerung richtig war. Im Übrigen fragte ich mich, warum sich ihre gute Laune plötzlich mit einer gewissen Grausamkeit einfärbte. »Was soll ich Ihnen darauf antworten?«
»Oh, bin ich wieder Miss Bancroft?«, fragte sie.
»Gerade eben haben Sie mich Mr Sadler genannt. Ich dachte, vielleicht wollten wir wieder zu einem förmlicheren Ton zurückfinden.«
»Nun, das wollen wir nicht«, sagte sie knapp. »Und lassen Sie uns nicht streiten, ja? Ich könnte es nicht ertragen. Bitte stören Sie sich nicht daran, wenn ich leicht konfus erscheine und Sie angreife und Ihnen dann wieder Komplimente wegen Ihres Aussehens mache. Es ist einfach ein merkwürdiger Tag, sonst nichts. Aber ich bin froh, dass Sie die Reise auf sich genommen haben.«
»Danke«, sagte ich und stellte fest, dass sie auf meine linke Hand sah, nicht auf die zuckende rechte. Ich fing ihren Blick auf.
»Ich dachte nur gerade«, sagte sie, »so viele junge Männer in Ihrem Alter scheinen nach ihrer Rückkehr aus dem Krieg geheiratet zu haben. Waren Sie nie versucht?«
»Ganz und gar nicht«, sagte ich.
»Es hat also zu Hause keine Liebste auf Sie gewartet?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Nun, umso besser für Sie«, sagte sie schnell. »Meiner Erfahrung nach bedeutet eine Liebste oft nur Ärger. Wenn Sie mich fragen, ist die Liebe ein Affentheater.«
»Aber auf sie allein kommt es an«, sagte ich unversehens und war selbst überrascht darüber. »Wo wären wir ohne die Liebe?«
»Sie sind also ein Romantiker?«
»Ich bin nicht sicher, ob ich überhaupt weiß, was das heißt«, antwortete ich. »Ein Romantiker? Ich weiß, ich habe Gefühle. Ich weiß, ich empfinde sehr tief – zu tief, um die Wahrheit zu sagen. Macht mich das zu einem Romantiker? Vielleicht.«
»Ihr Männer empfindet heute alle so tief«, sagte sie. »Freunde von mir, Jungs, die im Krieg waren, ihr habt eine Intensität, seid von einer solchen Traurigkeit erfüllt, ja sogar Ängstlichkeit. Nichts ist mehr so wie früher. Woran, denken Sie, liegt das?«
»Ist das nicht offensichtlich?«, fragte ich.
»Doch. Bis zu einem gewissen Grad. Aber ich würde gern hören, wie Sie es mir erklären.«
Ich sah auf den Tisch und dachte darüber nach. Ich wollte ehrlich zu ihr sein, so ehrlich, wie ich mich traute. Ich wollte, dass meine Worte etwas bedeuteten.
»Bevor ich nach drüben kam«, sagte ich, sah sie dabei aber nicht an, sondern starrte auf das Geschirr vor mir auf dem Tisch, »glaubte ich, etwas über mich zu wissen. Natürlich empfand ich da Dinge. Ich kannte jemanden, ich … vergeben Sie mir, Marian, ich hatte mich verliebt, denke ich. Auf eine kindliche Weise. Und ich bin sehr verletzt worden, was allein meine Schuld war. Ich hatte nicht alles durchdacht, obwohl ich davon überzeugt war. Ich glaubte zu wissen, was ich tat, und dass die andere Seite ähnliche Gefühle für mich hegte, aber natürlich täuschte ich mich da, und wie. Was dazu führte, dass alles völlig aus dem Ruder lief. Und so bin ich nach drüben gegangen, kam in das Regiment und war natürlich auch mit Ihrem Bruder zusammen und begriff, wie dumm ich gewesen war. Weil plötzlich alles, das Leben selbst, eine intensivere, erhöhte Erfahrung wurde. Es war, als lebte ich auf einer ganz anderen Ebene als vorher. In Aldershot haben sie uns letztlich nicht beigebracht, wie man kämpft, sondern wie wir unser Ende möglichst lang hinausschieben könnten.
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