Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler
sah ihn erstaunt an und wusste absolut nicht, was ich ihm darauf antworten sollte. Dieser Mann schien aus nichts als Wut zu bestehen, sein Gesicht war rot angelaufen, und gleich würde er Marian zur Seite stoßen und auf mich losgehen. Instinktiv trat ich einen Schritt zurück. »So ist’s recht, verzieh dich besser«, sagte der Kerl und war so erfreut über meine Bewegung, dass er gleich einen Schritt hinter mir hermachte. Wahrscheinlich dachte er, mich so einschüchtern zu können. Wobei ich keinerlei Angst vor ihm verspürte, ich wollte bloß nicht in eine Schlägerei geraten.
»Leonard, du sollst aufhören, habe ich gesagt!«, schrie Marian, packte den Mantel des Mannes und zog ihn zurück. Einige Passanten sahen mit einer Mischung aus Interesse und Abscheu zu uns herüber, gingen aber weiter und schüttelten die Köpfe, als hätten sie von unserer Sorte nichts anderes erwartet. »Es ist nicht, was du denkst. Du verstehst mal wieder alles falsch.«
»Ich verstehe alles falsch?«, fragte er, sah sie an und gab mir die Zeit, ihn genauer zu betrachten. Er war größer als ich, hatte braunes Haar, eine rötliche Hautfarbe und wirkte wie jemand, der die Dinge in die Hand zu nehmen verstand. Das Einzige, was von seiner starken physischen Präsenz ablenkte, war die eulenartige Brille, die ihn eher wie einen Akademiker aussehen ließ. Wogegen jedoch der Aufstand sprach, den er hier mitten auf der Straße machte. »Was ist da falsch zu verstehen, wenn ich euch mindestens eine Stunde zusammenglucken und miteinander gurren sehe wie zwei turtelnde Tauben? Und hast du seine Hand etwa nicht gehalten, Marian? Also erzähle mir bitte nicht, dass da nichts ist. Ich habe es doch mit eigenen Augen gesehen!«
»Und wenn da was wäre?«, rief sie jetzt, und auch ihr Gesicht färbte sich rot. »Was dann? Was geht dich das überhaupt an?«
»Komm mir nicht so«, schimpfte er, aber sie trat noch einen Schritt näher.
»Ich sage, was immer ich sagen will, Leonard Legg!«, fuhr sie ihn an, das Gesicht direkt vor seinem. »Du hast mir nichts vorzuschreiben. Nicht mehr. Du bist mir völlig egal.«
»Du gehörst mir«, sagte er.
»Ich gehöre niemandem«, rief sie. »Und am allerwenigsten dir. Denkst du, ich würde dich je wieder ansehen? Denkst du das? Nach dem, was du getan hast?«
»Nach dem, was ich getan habe?«, sagte er und lachte ihr ins Gesicht. »Das ist ja wohl unglaublich. Himmel, allein, dass ich bereit bin, die Vergangenheit zu vergessen und dich trotzdem zu heiraten, sollte dir zeigen, was für ein Mann ich bin. Mich mit einer Familie wie deiner einzulassen, ist nicht gerade von Vorteil für mich, oder? Und ich bin trotzdem dazu bereit. Für dich.«
»Spar dir deine Mühe«, sagte sie und senkte die Stimme. Schon hatte sie ihre Würde wiedergefunden. »Denn wenn du denkst, ich würde dich jemals heiraten, wenn du denkst, ich würde mich so erniedrigen …«
» Du dich erniedrigen? O Gott, wenn meine Eltern nur wüssten, dass ich mit dir rede, geschweige denn, dir vergebe …«
»Es gibt nichts, was du mir vergeben könntest«, rief sie und warf verzweifelt die Arme in die Luft. »Wenn hier überhaupt jemand etwas zu vergeben hat, dann ich dir. Aber das wirst du nicht erleben«, sagte sie und trat noch näher vor ihn hin. »Das werde ich nicht. Nie und nimmer.«
Er starrte sie an und atmete schwer durch die Nase, wie ein Stier, der jeden Moment angreifen wollte, und eine Sekunde lang dachte ich, dass er tatsächlich auf sie losgehen würde, und so machte auch ich einen Schritt auf ihn zu. Gleich sah er mich wieder an, lenkte all seine Wut von Marian in meine Richtung, und unversehens fand ich mich auf dem Straßenpflaster wieder. Benommen drückte ich eine Hand auf die Nase, aus der zu meiner Überraschung jedoch kein Blut lief. Offenbar hatte er mich mit einem Schlag auf die Wange zu Boden geschickt. Sie fühlte sich geschwollen und empfindlich an.
»Tristan!«, rief Marian, kam zu mir gelaufen und beugte sich über mich. »Ist alles in Ordnung?«
»Ich glaube schon«, sagte ich, setzte mich auf und sah zu meinem Gegner hinüber. Jede Faser meines Leibes wollte aufstehen, es ihm zurückzahlen und ihn, wenn nötig, bis nach Lowestoft prügeln, aber ich blieb ruhig. Wie Wolf wollte auch ich nicht kämpfen.
»Na, komm schon«, sagte er, versuchte mich anzustacheln und nahm eine Haltung wie ein Profiboxer ein. Was für ein erbärmlicher Clown er doch war. »Komm auf die Beine und zeig, was du
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