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Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Titel: Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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sehe, wie Sergeant Clayton, der in den paar Wochen, die wir hier sind, dürr wie eine Bohnenstange geworden ist, Potter anschreit, einen außerordentlich großen Soldaten, der in Aldershot wegen seines parodistischen Talents beliebt war. Zu guten Zeiten kann er nicht nur unseren Alten, sondern auch seine zwei Apostel Wells und Moody wunderbar nachahmen, und einmal, als er überraschend gut gelaunt war, fragte ihn Clayton, ob er seine Sketche nicht vor dem gesamten Regiment vorführen wolle, was Potter tat, mit Erfolg und ohne jede Boshaftigkeit, wenn es meines Erachtens auch eine gewisse Schärfe gab. Aber Clayton schluckte alles.
    Es scheint um Potters Größe zu gehen. Mit seinen eins achtundneunzig überragt er uns alle, und wenn dann noch seine Absätze und der Helm auf seiner hochgewölbten Stirn dazukommen, ist er über zwei Meter groß. Wir haben uns natürlich daran gewöhnt, aber das macht sein Leben nicht einfacher, denn die Gräben sind im Höchstfall nur gut zweieinhalb Meter tief und im nördlichen Abschnitt gerade mal einen Meter breit. Der arme Kerl muss aufpassen, dass er den Kopf nicht über den Wall reckt, sonst bläst ihm eine deutsche Kugel das Licht aus. Es ist schwer für ihn, wenn wir auch nicht die Zeit haben, uns deswegen Gedanken zu machen, aber Clayton schreit ihn wieder mal an.
    »Sie machen sich zu einer wandelnden Zielscheibe!«, brüllt er, »und damit bringen Sie auch alle anderen in Ihrem Regiment in Gefahr. Wie oft habe ich Ihnen schon gesagt, nicht aufrecht dazustehen, Potter?«
    »Aber ich schaffe das nicht, Sir«, kommt die verzweifelte Antwort. »Ich versuche ja, mich zu bücken, aber mein Körper macht das nicht lange mit. Mein Rücken tut höllisch weh.«
    »Und Sie denken nicht, dass ein kaputter Rücken ein kleiner Preis für einen Kopf ist?«
    »Ich kann mich nicht den ganzen Tag bücken, Sir«, jammert Potter. »Ich versuche es ja. Ich verspreche es Ihnen.«
    Worauf Clayton ihm verschiedene Obszönitäten an den Kopf wirft und ihn gegen die hintere Wand stößt, und ich denke: So ist’s recht. Reiß die Sandsäcke runter, warum auch nicht? Warum bringst du uns nicht alle in noch größere Gefahr? Und warum schickst du nicht gleich auch noch unsere Artillerie weg, wo du schon mal dabei bist?
    Claytons Geschrei klingt mir noch in den Ohren, als ich mich längst von dieser Vormittagsvorstellung abgewandt und zu meinem Posten aufgemacht habe, wo Tell ängstlich den Blick schweifen lässt und auf mich wartet. Er hofft inständig, dass ich komme, denn wenn ich es nicht tue, war ich wahrscheinlich dumm genug, mich während der Nacht erschießen zu lassen, und das hieße, dass er ausharren muss, bis Clayton, Wells oder Moody vorbeikommen und sich bereit erklären, eine Ablösung für ihn zu finden. Was Stunden dauern könnte, und er darf seinen Posten nicht verlassen, das würde als Fahnenflucht betrachtet, und die Strafe dafür besteht darin, sich vor eine Reihe Soldaten zu stellen, die alle mit ihrem Gewehr auf das Stück Stoff über deinem Herzen zielen.
    »Himmel, Sadler, ich dachte schon, du würdest nie mehr kommen«, ruft er, verlässt seinen Posten und klopft mir auf den Arm, was viel Glück bedeutet. »Sonst alles in Ordnung?«
    »Doch, doch, Bill«, sage ich. Tell ist einer von denen, die lieber mit ihrem Vornamen angeredet werden. Vielleicht fühlt er sich dann mehr wie er selbst. Schon trete ich vor, bringe meine Füße in Position und ziehe das Periskop auf Augenhöhe. Ich will Tell gerade fragen, ob es was zu berichten gibt, aber da ist er schon weg, und ich seufze. Ich verenge die Augen, sehe durch das schmutzige Glas, bemühe mich, den Horizont zwischen dem Schlachtfeld und der dunklen Wolkendecke auszumachen, und tue alles, was in meiner Macht steht, um mich daran zu erinnern, wonach ich hier verdammt noch mal eigentlich Ausschau halte.
    Ich versuche, die Tage zu zählen, seit ich England verlassen habe, und beschließe, dass es vierundzwanzig sind.
    Wir sind morgens mit dem Zug von Aldershot nach Southampton gefahren und von dort zu den Docks von Portsmouth marschiert. Ganze Familien standen auf den Bürgersteigen, um uns auf unserem Weg in den Krieg zuzujubeln. Die meisten der Männer genossen den Zuspruch, besonders, als ein paar Mädchen aus der Menge vorsprangen und sie auf die Wangen küssten. Ich selbst war mit meinen Gedanken noch viel zu sehr bei den Geschehnissen der vorangegangenen Nacht.
    Will hatte sich hinterher schnell angezogen und mich mit einem

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