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Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Titel: Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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natürlich sind wir das!«
    »Moment«, sagte er und schüttelte den Kopf. »So habe ich es nicht gemeint. Ich meine, wir können uns nicht mehr wie normale Menschen sehen. Wir sind jetzt Soldaten. Wir sind im Krieg. Du bist der Gefreite Sadler, und ich bin der Gefreite Bancroft, und damit hat es sich.«
    »Dort drüben«, sagte ich, senkte die Stimme und nickte in die Richtung, aus der wir kamen, in Richtung England, »hat mir unsere Freundschaft viel bedeutet. In Aldershot, meine ich. Ich hatte nie viele Freunde und …«
    »Um Himmels willen, Tristan!«, zischte er, warf den Rest seiner Zigarette über Bord und sah mich wütend an. »Red nicht mit mir, als wäre ich deine Freundin, klar? Da wird mir schlecht. Das ertrage ich nicht.«
    »Will«, sagte ich und streckte die Hand nach ihm aus. Ich wollte ihn nur davon abhalten wegzulaufen, aber er schlug meinen Arm grob zur Seite, weit gröber, als er es womöglich beabsichtigt hatte, denn als ich zurückstolperte, sah er mich mit einer Mischung aus Bedauern und Selbsthass an. Aber schon hatte er sich wieder im Griff und ging zurück auf Deck, wo die meisten anderen Soldaten standen.
    »Wir sehen uns drüben«, sagte er. »Alles andere ist unwichtig.«
    Er zögerte einen Moment, drehte sich noch einmal um, sah den Schmerz und die Verwirrung auf meinem Gesicht und lenkte etwas ein. »Es tut mir leid, okay?«, sagte er. »Ich kann einfach nicht, Tristan.«
    Seitdem haben wir kaum mehr ein Wort gewechselt. Weder auf dem gesamten Marsch nach Amiens, auf dem er deutlich Abstand zu mir hielt, noch, als es weiter Richtung Montauban-de-Picardie ging, das, wie uns Corporal Moody verlässlich informiert hat, der verwünschte Ort ist, an dem ich jetzt meine Augen gegen die verschmierten Linsen des Periskops drücke. Ich habe versucht, ihn zu vergessen. Ich habe versucht, mir einzureden, dass es einfach so passiert ist, wie Dinge nun mal passieren, aber das ist schwer, wenn mein Körper hier zwei Meter tief in der Erde Nordfrankreichs steht, während mein Herz noch immer auf einer Lichtung an einem Bach in England verweilt, wo ich es vor Wochen zurückgelassen habe.
    Rich ist tot. Genau wie Parks und Denchley. Ich sehe ihre Leichen daliegen, und sosehr ich mich auch von ihnen abwenden will, es geht nicht. Sie sind letzte Nacht aus dem Graben geklettert, um dicke Rollen Stacheldraht vor unserer Verteidigungsanlage zu verteilen. Bevor das Granatfeuer wieder losging. Einen nach dem anderen haben die deutschen Scharfschützen sie erwischt.
    Corporal Moody unterzeichnet gerade die Formulare, damit ihre Leichen abtransportiert werden können. Er dreht sich zu mir um, als er meine Schritte hört.
    »Oh, Sadler«, sagt er. »Was brauchen Sie?«
    »Nichts, Sir«, antworte ich und starre die Leichen an.
    »Dann stehen Sie hier nicht herum wie ein verdammter Idiot. Haben Sie dienstfrei?«
    »Ja, Sir.«
    »Gut, die Lastwagen müssen bald da sein.«
    »Die Lastwagen, Sir?«, frage ich. »Welche Lastwagen?«
    »Wir haben Balken für die neuen Gräben bestellt und um einige in den alten austauschen zu können«, erklärt er mir. »Dann brauchen wir die Sandsäcke nicht mehr. Können die Straßen verstärken. Gehen Sie rauf und helfen Sie beim Abladen, Sadler.«
    »Ich wollte gerade etwas schlafen, Sir«, sage ich.
    »Schlafen können Sie immer noch«, sagt er ohne jeden Sarkasmus in der Stimme. Ich glaube, er meint es tatsächlich so. »Und je schneller wir damit vorankommen, desto sicherer sind wir alle. Los doch, Sadler. Kopf hoch, die Wagen kommen gleich.«
    Ich klettere hinauf und gehe ohne Angst, erschossen zu werden, zum Reservegraben. Die Entfernung bis hierher ist zu groß für die deutschen Gewehre. Ein Stück vor mir sehe ich Sergeant Clayton wild gestikulierend vor drei Männern stehen. Als ich näher komme, erkenne ich Will und Turner. Der dritte ist etwas älter als wir, vielleicht Mitte zwanzig, den habe ich noch nie gesehen. Er hat dichtes, kurz geschorenes rotes Haar, und seine Haut wirkt wund und alt. Alle vier drehen sich um, als sie mich kommen hören, und ich weiche Wills Blick aus, weil ich nicht wissen will, ob seine erste Reaktion Freude oder Ärger darüber ist, mich zu sehen.
    »Sadler«, fährt Sergeant Clayton mich verächtlich an. »Was zum Teufel wollen Sie wieder?«
    »Corporal Moody schickt mich, Sir«, erkläre ich ihm. »Er sagt, Sie brauchen vielleicht Hilfe für die Lastwagen.«
    »Natürlich brauchen wir die«, sagt er, als könnte es nicht offensichtlicher

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