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Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Titel: Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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sein. »Aber wo bleiben die nur?« Er blickt den tief ausgefahrenen Pfad hinunter, schüttelt den Kopf und sieht auf die Uhr. »Ich bin dann im Unterstützungsgraben«, murmelt er und wendet sich schon ab. »Bancroft, Sie kommen und holen mich, wenn die Lastwagen hier sind, klar?«
    »Sir«, sagt Will knapp, dreht sich um und sieht den Pfad hinunter. Ich möchte mit ihm reden, aber mit Turner und dem unbekannten Rotschopf zwischen uns geht das kaum.
    »Ich heiße Rigby«, verkündet der Fremde und nickt mir zu, ohne jedoch die Hand auszustrecken.
    »Rigby ist ein Verweigerer«, sagt Turner ohne jede Aggression in der Stimme. Im Gegenteil, es klingt, als wäre es das Natürlichste von der Welt.
    »Wirklich?«, sage ich. »Und du bist trotzdem hier?«
    »Das Hauptquartier schickt mich hin und her«, erklärt mir Rigby. »Wahrscheinlich hoffen sie, dass ich irgendwann ausgeknipst werde. Von einer deutschen Kugel und nicht von einer englischen, um die Kosten fürs Pulver zu sparen. Sechs Nächte hintereinander musste ich jetzt mit der Krankenbahre raus, wenn du dir das vorstellen kannst. Und ich lebe noch, was so was wie ein Rekord sein muss. Oder ich bin längst tot, genau wie ihr, und das hier ist die Hölle.« Er klingt bemerkenswert gut gelaunt und kann eigentlich nur komplett verrückt sein.
    Ich senke den Blick, während die drei sich unterhalten, trete mit der Stiefelspitze kräftig in die Erde und trenne so Schmutz und Steine. Einige der getrockneten Erdklümpchen verschwinden unter der Oberfläche. Den Verweigerern begegnet niemand mehr mit Feindseligkeit, wenigstens nicht denen, die sich bereit erklärt haben, ihren Dienst abzuleisten, wenn sie auch nicht kämpfen wollen. Auf den Bauernhöfen und in den Gefängnissen sieht es bestimmt anders aus, aber das bekommen wir nicht mit. Tatsache ist, dass hier alle in Gefahr sind. In Aldershot war die Situation anders. Da konnten wir Politik spielen und uns als aufgebrachte Patrioten gerieren, konnten Wolf das Leben zur Hölle machen, ohne deswegen ein schlechtes Gewissen zu haben, und ihn mitten in der Nacht aus dem Bett zerren, um ihm den Schädel mit einem Stein einzuschlagen. Hier wird sowieso keiner überleben. Davon sind eigentlich alle überzeugt.
    Will geht im Kreis und hält Abstand. Mir bleibt nur, mich im Zaum zu halten und ihn nicht bei den Schultern zu packen, um ihm zu sagen, er soll endlich mit dem Unsinn aufhören.
    »Rigby kommt aus London, so wie du«, sagt Turner, und ich blicke auf und verstehe, dass er mich damit meint. Wahrscheinlich hat Rigby es bereits gesagt, und Turner hat es nur wiederholt, denn die beiden sehen mich erwartungsvoll an.
    »Ach ja?«, sage ich. »Und woher genau?«
    »Aus Brentford«, sagt er. »Kennst du das?«
    »Aber klar. Meine Familie wohnt ganz in der Nähe.«
    »Tatsächlich? Kenne ich da vielleicht jemanden?«
    »Die Metzgerei Sadler?«, sage ich. »In Chiswick, in der High Street?«
    Er sieht mich überrascht an. »Meinst du das ernst?«, fragt er, und ich ziehe die Stirn kraus und frage mich, warum ich es nicht ernst meinen soll. Ich sehe, dass sich Will nach dieser unerwarteten Frage zu uns umdreht und sich langsam in unsere Richtung bewegt.
    »Aber natürlich«, sage ich.
    »Dann bist du nicht zufällig Catherine Sadlers Sohn?«, fragt er, und mir wird leicht schwindelig, als ich ihren Namen höre. Hier drüben. Auf diesem Feld in Frankreich. Während die Leichen von Rich, Parks und Denchley kaum hundert Meter weiter zu zerfallen beginnen.
    »Doch, das bin ich«, sage ich und gebe mir alle Mühe, die Fassung zu bewahren. »Woher kennst du meine Mutter?«
    »Nun, ich kenne sie nicht, nicht richtig jedenfalls«, sagt er. »Aber meine Mutter ist mit ihr befreundet. Alison Rigby. Hat deine Mutter nie von ihr erzählt?«
    Ich überlege und zucke mit den Schultern. Irgendwie kommt mir der Name bekannt vor, aber meine Mutter hat ein ganzes Netz von Freundinnen überall in der Stadt, und ich habe mich nie auch nur im Geringsten dafür interessiert.
    »Doch, ich glaube schon«, sage ich. »Den Namen habe ich jedenfalls schon mal gehört.«
    »Was für ein Zufall! Und was ist mit Margaret Hadley? Dann musst du doch auch Margaret kennen.«
    »Nein«, sage ich und schüttele den Kopf. »Sollte ich?«
    »Sie arbeitet in Croft’s Café.«
    »Croft’s kenne ich. Aber das ist ein paar Jahre her. Warum? Wer ist sie?«
    »Sie ist meine Freundin«, antwortet er und strahlt. »Ich dachte, vielleicht wärst du ihr schon mal begegnet.

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