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Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Titel: Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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das tun?«
    »Weil er ein Kriegsgefangener ist«, sagt Will. »Was würdest du denn vorschlagen? Ihn laufen lassen?«
    »Nein, selbstverständlich schlage ich verdammt noch mal nicht vor, ihn laufen zu lassen«, sagt Milton sarkastisch. »Aber wir müssen uns auch keinen Klotz ans Bein binden. Blasen wir ihm das Licht aus, und die Sache ist erledigt.«
    »Du weißt, dass das nicht geht«, sagt Will mit scharfer Stimme. »Wir sind keine Mörder.«
    Milton lacht, lässt den Blick schweifen und zeigt auf all die toten Deutschen um uns herum. Es müssen Dutzende sein. Ich sehe, wie der deutsche Junge seinem Blick folgt, und es ist klar, dass er sie alle kennt, dass einige seine Freunde waren und er sich ohne sie verloren fühlt. Er will, dass sie aufstehen und ihn beschützen.
    »Was habt ihr getan?« , fragt der Junge und wendet sich Will zu, der, vielleicht ahnt er das, sein Beschützer sein wird, schließlich hat Will ihn entdeckt.
    »Sei ruhig«, sagt Will und schüttelt den Kopf. »Sadler, kannst du dich nach einem geeigneten Strick umsehen?«
    »Wir fesseln ihn nicht, Bancroft«, sagt Milton. »Hör auf, den verdammten Heiligen zu spielen. Das tötet einem ja den letzten Nerv.«
    »Das geht dich gar nichts an«, erwidert Will mit erhobener Stimme. »Er ist mein Gefangener, klar? Ich habe ihn gefunden. Also entscheide ich, was mit ihm gemacht wird.«
    » Mein Vater ist in London zur Schule gegangen« , sagt der Junge, und ich sehe ihn an und will, dass er ruhig ist, weil seine Bettelei ihn nur noch in größere Gefahr bringt. »Piccadilly Circus!« , fügt er mit falscher Fröhlichkeit hinzu. »Trafalgar Square! Buckingham Palace!«
    » Piccadilly Circus?«, fragt Milton und dreht sich verblüfft zu ihm um. »Der verdammte Trafalgar Square? Wovon redet der Kerl denn?« Und ohne jede Vorwarnung schlägt er dem Jungen mit dem Handrücken ins Gesicht, und das mit einer solchen Wucht, dass dem Ärmsten einer seiner faulen Zähne – wir alle haben faule Zähne – aus dem Mund fliegt und auf einem der deutschen Toten landet.
    »Himmel noch mal, Milton«, sagt Will und macht einen Schritt auf ihn zu. »Was, um alles in der Welt, tust du da?«
    »Der Kerl ist ein Deutscher, oder?«, sagt Milton. »Er ist ein verdammter Feind, und du weißt, wie unser Befehl lautet: Wir bringen unsere Feinde um.«
    »Nicht die, die wir gefangen genommen haben, die nicht«, sagt Will. »Das unterscheidet uns von ihnen, oder soll es wenigstens. Wir behandeln die Menschen mit Respekt. Wir schätzen das menschliche Leben als …«
    »Ach, klar!«, ruft Attling da und fällt in den Streit ein. »Hatte ich fast vergessen: Dein Alter ist Priester, richtig? Hast wohl zu viel Messwein gesoffen, Bancroft.«
    »Halt den Mund, Attling«, fährt Will ihn an, und Attling, der Feigling, macht es prompt.
    »Hör zu, Bancroft«, sagt Milton. »Ich fange hier mit dir keinen Streit an, aber es gibt nur eine Lösung für dieses Problem.«
    »Will hat recht«, sage ich. »Wir fesseln ihn und übergeben ihn Sergeant Clayton. Der kann dann entscheiden, was mit ihm passiert.«
    »Wer hat denn dich nach deiner Meinung gefragt, Sadler?«, sagt Milton höhnisch. »Klar, dass du das so siehst. Der verdammte Bancroft verkündet, der Mond ist aus Käse, und schon willst du, dass dir jemand die Cracker reicht.«
    »Halt die Schnauze, Milton«, sagt Will und macht noch einen Schritt auf ihn zu.
    »Ich werde meine verdammte Schnauze ganz sicher nicht halten.« Milton sieht uns beide an, als würde es ihm rein gar nichts ausmachen, uns ebenfalls die Zähne auszuschlagen.
    »Bitte, ich will nach Hause« , sagt der Junge jetzt wieder mit bebender Stimme, und zu dritt verfolgen wir, wie er ganz langsam, ganz vorsichtig eine Hand zur obersten Tasche seiner Jacke führt, die so klein und flach ist, dass man sich kaum vorstellen kann, dass da was drin sein soll, aber dann zieht er eine kleine Karte daraus hervor und hält sie uns mit zitternder Hand hin. Ich nehme sie als Erster. Es ist eine Fotografie, auf dem ein mittelaltes Paar zu sehen ist, mit einem kleinen blonden Jungen zwischen sich, der in die Sonne blinzelt. Es ist schwer, die Gesichter zu erkennen, da die Fotografie sehr körnig ist. Offenbar trägt der Junge sie schon ewig in seiner Tasche mit sich herum.
    »Mutter!« , sagt er und deutet auf die Frau in der Bildmitte. »Und Vater!« , fügt er hinzu und zeigt auf den Mann. Ich betrachte die beiden und dann ihn, der uns flehentlich ansieht.
    »Ach, Scheiße noch

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