Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler
»Milton, Bancroft, Attling und Sadler, ihr vier, verstanden? Es sollte alles eingenommen sein, aber seid auf der Hut. Milton, Sie nehmen meine Pistole, und Sie übernehmen auch das Kommando. Die anderen müssen sich auf ihre Gewehre verlassen, falls es Ärger gibt. Von Osten her könnte ein anderes Regiment anrücken.«
»Und sollte das so sein, Sir«, fragt Milton unklugerweise, »wie sollen wir uns dann verteidigen?«
»Gebrauchen Sie Ihren Verstand, Mann«, sagt Clayton. »Dazu sind Sie ausgebildet worden. Aber wenn ich zurückkomme und Fritz hat diesen Graben hier wieder eingenommen, erschieße ich jeden Einzelnen von euch höchstpersönlich.«
Der Irrsinn der Situation lässt mich in Lachen ausbrechen. Was ist denn das für eine Drohung? Sollte es so weit kommen, sind wir längst alle ins Jenseits befördert.
»Ich sehe mich mal um«, sagt Will und verschwindet um eine Ecke. Das Gewehr hängt ihm locker über der Schulter.
»Ich konnte es kaum glauben, als der Alte verlauten ließ, dass wir hierbleiben sollen.« Milton grinst mich an. »Das ist ein Glück, was?«
»Finde ich nicht«, sagt Attling, ein dünner Bursche mit riesigen Augen und echsenartigen Gliedmaßen. »Ich wäre gerne noch mit den anderen weitergezogen.«
»Leicht gesagt«, erwidert Milton höhnisch, »wenn du weißt, du musst nicht. Was denkst du, Sadler?«
»Leicht gesagt«, stimme ich ihm zu und lasse meinen Blick wandern. Das Holz, das die Deutschen für ihre Auftritte benutzen, ist besser als unseres. Die Wände sind aus grobem Beton, und ich frage mich, ob sie einen Ingenieur dabeihatten, als sie sich hier eingegraben haben. Überall um uns herum liegen Tote, aber ich habe meinen Ekel vor Leichen längst verloren.
»Sieh dir diese Unterstände an«, sagt Milton. »Die hatten sich bestens eingerichtet, was? Die sind der reine Luxus, verglichen mit unseren. Saublöde Dreckskerle, sich so von uns überrennen zu lassen.«
»Karten«, sagt Attling, bückt sich und hebt eine Pikacht und eine Karovier auf. Meine Vorstellung, was hier unten wohl vorging, erweist sich auf merkwürdige Weise als richtig.
»Wie lange, denkst du, werden sie brauchen, um den nächsten Graben einzunehmen?«, fragt Milton und sieht mich an. Ich zucke mit den Schultern und ziehe eine Zigarette aus meiner vorderen Tasche.
»Keine Ahnung«, sage ich und stecke sie mir an. »Vielleicht ein paar Stunden? Vorausgesetzt, dass es ihnen überhaupt gelingt.«
»Sag so was nicht, Sadler«, fährt er mich an. »Natürlich nehmen sie ihn ein.«
Ich nicke und sehe weg. Ich frage mich, wo Will bleibt, und in genau diesem Moment höre ich Stiefel näher kommen, und er taucht wieder hinter der Ecke auf. Nur dass er jetzt nicht mehr allein ist.
»Zum Teufel auch«, sagt Milton, und der erfreute Ausdruck auf seinem Gesicht deutet an, dass er nicht glauben kann, was er da sieht. »Wen bringst du denn da mit, Bancroft?«
»Hab ihn in einem der Unterstände weiter hinten gefunden«, sagt Will und schiebt einen Jungen vor sich her, der uns nacheinander mit dem Ausdruck völliger Panik ansieht. Er ist äußerst dünn, dieser Junge, und hat blondes Haar, das sie ihm erst kürzlich vorn über der Stirn abgeschnitten haben, wahrscheinlich, damit es ihm nicht in die Augen fällt. Er zittert, gibt sich aber Mühe, mutig zu erscheinen. Unter all dem erdigen Schmutz hat er ein angenehmes, kindliches Gesicht.
»Ja, wer bist denn du, Fritzy?«, fragt Milton in einem Ton, als wäre der Junge ein Schwachkopf. Seine Stimme ist laut und Furcht einflößend, und er geht auf ihn zu und baut sich drohend vor ihm auf.
Der Junge lehnt sich verängstigt zurück. »Bitte, tut mir nichts« , sagt er, und die Worte kommen schnell aus ihm heraus und stolpern übereinander.
»Was sagt er?«, fragt Milton und sieht dabei Attling an, als wüsste der die Antwort.
»Ich hab keinen verfluchten Schimmer«, erwidert Attling gereizt.
»Du taugst auch zu gar nichts, Mann«, sagt Milton.
»Ich will nach Hause« , sagt der Junge jetzt. »Bitte, ich will nach Hause.«
» Halt die verdammte Schnauze«, faucht Milton ihn an. »Keiner versteht ein Wort von dem, was du sagst. War er der Einzige?«, fragt er Will.
»Ich glaube schon. Dahinten hören die Gräben auf. Da liegen noch jede Menge Leichen, aber er scheint der einzige Überlebende zu sein.«
»Dann fesselst du ihn wohl besser«, sage ich. »Wir nehmen ihn mit, wenn wir weiterziehen.«
»Den mitnehmen?«, fragt Milton. »Warum zum Teufel sollten wir
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