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Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Titel: Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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mal«, sagt Milton, packt den Jungen bei der Schulter und zieht ihn mit sich ein paar Schritte zurück in den Matsch, sodass Will, Attling und ich ihm nun gegenüberstehen. Er zieht die Pistole aus dem Gürtel, die Sergeant Clayton ihm gegeben hat, und versichert sich, dass sie geladen ist.
    »Nein!« , ruft der Junge laut, und seine Stimme bricht vor Angst. »Nein, bitte!«
    Ich sehe ihn verzweifelt an. Er kann nicht älter als siebzehn oder achtzehn sein. So alt wie ich.
    »Steck das Ding weg, Milton«, sagt Will und greift jetzt auch nach seinem Gewehr. »Ich meine es ernst. Steck die Pistole weg.«
    »Oder was?«, fragt Milton. »Was willst du sonst machen, Priester Bancroft? Willst du mich erschießen?«
    »Steck einfach die verdammte Pistole weg und lass den Jungen los«, antwortet Will ruhig. »Gott noch mal, Mann, überleg endlich, was du da tust. Das ist doch noch ein Kind.«
    Milton zögert und sieht den Jungen an, und ich kann einen Moment lang einen Anflug von Mitleid in seinem Ausdruck erkennen, als erinnerte er sich an den Menschen, der er einmal war, bevor das alles hier losging. Bevor er zu dem wurde, der da jetzt vor uns steht. Aber gerade in diesem Moment verliert der deutsche Junge die Kontrolle über seine Blase. Ein breiter Urinstrom verdunkelt das Bein seiner Hose, das Bein, das sich fest an Milton presst, und der sieht nach unten und schüttelt angewidert den Kopf. »Verdammte Scheiße!«, ruft er, und ehe irgendeiner von uns etwas dagegen unternehmen kann, hebt er die Pistole an den Kopf des Jungen, drückt ab – »Mutter!« , schreit der Junge noch – und bläst dessen Gehirn auf die Wände des Grabens. Rot spritzt es über ein Schild, das nach Osten zeigt und auf dem steht: »Frankfurt, 612 km.«
    Am folgenden Abend kommt Will zu mir. Ich bin völlig erschöpft. Ich habe seit achtundvierzig Stunden nicht geschlafen und muss etwas Schlechtes gegessen haben. Die Magenkrämpfe werden von Stunde zu Stunde schlimmer. Als ich ihn sehe, empfinde ich weder Erregung noch Hoffnung, nur Anspannung.
    »Tristan«, sagt er, ohne auf die anderen drei Männer in meiner Nähe zu achten. »Können wir reden?«
    »Ich fühle mich nicht gut«, sage ich. »Ich muss mich ausruhen.«
    »Nur für eine Minute.«
    »Ich sagte, ich muss mich ausruhen.«
    Er sieht mich an, und sein Ausdruck wird etwas netter. »Bitte, Tristan«, sagt er leise. »Es ist wichtig.«
    Ich seufze und kämpfe mich auf die Beine. Ich wünschte bei Gott, ich könnte ihm widerstehen. »Was ist denn?«, frage ich.
    »Nicht hier. Komm mit, bitte.«
    Er wartet nicht auf meine Antwort, sondern dreht sich um und geht davon, was mich fast explodieren lässt, aber ich folge ihm natürlich. Er geht nicht in Richtung des neuen Reservegrabens, sondern ein Stück die Linie hinunter, wo Bahren nebeneinanderliegen. Die Körper darauf sind mit den Jacken der Gefallenen bedeckt.
    Taylor liegt unter einem der Mäntel. Zwölf und acht.
    »Was?«, frage ich, als er mich ansieht. »Was ist los?«
    »Ich hab mit dem Alten geredet«, erklärt er mir.
    »Mit Sergeant Clayton?«
    »Ja.«
    »Worüber?«
    »Du weißt genau, worüber.«
    Ich sehe ihn an und weiß einen Moment lang nicht, was er meint. Er kann ihm unmöglich erzählt haben, was wir zusammen getan haben. Wir würden vors Militärgericht gestellt. Oder will er mir die Schuld daran geben, damit ich aus dem Regiment entfernt werde? Er sieht den Unglauben in meinem Gesicht und wird leicht rot, schüttelt aber schnell den Kopf, um meinen Eindruck zu verwischen.
    »Über den deutschen Jungen«, sagt er, »und was Milton mit ihm gemacht hat.«
    »Oh«, sage ich und nicke langsam. »Das.«
    »Ja, darüber. Es war kaltblütiger Mord, das weißt du selbst. Du hast es gesehen.«
    Ich seufze wieder. Es überrascht mich, dass er noch mal davon anfängt. Ich dachte, das läge hinter uns. »Ich weiß nicht«, sage ich endlich. »Ja, das war es wohl.«
    »Ach, komm, da gibt’s kein wohl oder vielleicht . Der Junge, dieses Kind, war ein Kriegsgefangener. Und Milton hat ihn erschossen. Der Deutsche war in keiner Weise eine Bedrohung für uns.«
    »Es war nicht richtig, Will, sicher nicht. Aber solche Dinge geschehen. Ich hab schon Schlimmeres gesehen. Du auch.« Ich schenke ihm ein kurzes, bitteres Lachen und deute auf die Bahren um uns herum. »Sieh dich doch um, Himmel noch mal. Was macht da einer mehr oder weniger schon aus?«
    »Das weißt du genau«, sagt er. »Ich kenne dich, Tristan. Du kennst den Unterschied

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