Das spanische Erbe
Fremder ist.”
“Das ist aber schade. Du siehst aus wie er …, hast dasselbe dunkle Haar und die gleichen Gesichtszüge …”
“Bitte hör auf!”, sagte sie leise.
Aber Ramon beachtete sie gar nicht. “Weißt du eigentlich, dass du genauso dickköpfig bist wie er? Ich hätte dich überall erkannt, Annalisa …”
“Schluss damit!”, schrie sie verzweifelt. Merkte er denn nicht, wie sehr sie seine Worte schmerzten. “Fahr mich nach Hause. Bitte!”
Einen Moment lang schien es so, als wolle er sie in die Arme nehmen und trösten, doch dann überlegte er es sich anders. Er ließ den Motor an, löste die Handbremse und gab Gas.
Spät am Abend saß Annalisa im Schlafzimmer vor dem Spiegel ihrer Frisierkommode und betrachtete sich nachdenklich. Ramons Worte hatten sie über alle Maßen aufgewühlt, und sie konnte sie einfach nicht vergessen. So langsam nahm der Mann, dem sie ihr gutes Aussehen und ihr Temperament verdankte, Gestalt an. Ihre Mutter war eine typische Engländerin gewesen, hatte blondes Haar, grüne Augen und eine helle Haut gehabt. Annalisa hatte von ihr nur Letzteres geerbt, ansonsten wirkte sie wie eine Spanierin. Obwohl sie groß war, glich ihre Figur der der südländischen Frauen. Vor allem ihre vollen Brüste fielen ins Auge.
Gab es hier vielleicht irgendwo ein Foto von ihrem Vater? Doch weshalb soll ich danach suchen, dachte sie aufgebracht, es ist die Mühe nicht wert. Außerdem – was erhoffte sie sich davon? Sie würde bestimmt nicht herausfinden, warum ihr Vater ihre Mutter einfach so im Stich gelassen hatte!
In diesem Moment klingelte das Telefon. Wahrscheinlich war es Don Alfonso, der noch einmal den Termin für das nächste Treffen bestätigen wollte.
“Annalisa?”
“Ramon!”
“Ist alles in Ordnung?”
Ihr Herz klopfte schneller, als sie seine besorgte Stimme hörte. Sie zögerte einen Moment, denn sie wollte nicht, dass er bemerkte, wie verwirrt sie war. “Warum sollte es das nicht sein?”
“Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.”
Wieder reagierte ihr Körper mit aller Macht, während sie verzweifelt nach einer Antwort suchte.
“Bist du noch da?”
“Ja.”
“Soll ich zu dir kommen?”
Sie schwieg einen Moment. “Hierher?”, fragte sie schließlich mit bebender Stimme. Ramon lachte leise, und ihr wurde bewusst, dass sie genau
das
wollte …, und gleichzeitig war ihr auch klar, wie gefährlich es sein würde.
“Du brauchst nicht schockiert zu sein”, erwiderte er. “Ich wollte nur wissen, ob es dir gut geht, nach allem …”
“Das ist nicht notwendig”, unterbrach sie ihn.
“Wenn du meinst …”
Sie stellte sich vor, wie er zurückgelehnt in einem Ledersessel saß, die langen Beine ausgestreckt … Es wäre so leicht gewesen nachzugeben. Aber dann dachte sie wieder an ihre Mutter. Sie wollte auf keinen Fall das gleiche Schicksal erleiden.
“Ja, ich bin mir sicher.” Sie zögerte einen Moment. “Ich muss jetzt auflegen, denn ich habe die Tiere noch nicht gefüttert.” Tolle Ausrede! Es war beinahe Mitternacht! Sie schnitt ein Gesicht. Ihm wäre bestimmt etwas Besseres eingefallen.
“Natürlich. Wir sehen uns dann nächsten Mittwoch, Annalisa.”
So lange noch …
Aber Ramon nahm nicht an dem nächsten Treffen in Don Alfonsos Büro teil und erschien auch nicht die Woche darauf. Eigentlich hätte es Annalisa ja egal sein müssen, aber das war es nicht. Beim ersten Mal hatten die Anwälte keine Erklärung abgegeben, warum ihr Mandant nicht gekommen war, und Annalisa hatte auch nicht gefragt. Als Ramon auch beim zweiten Termin fehlte, warf sie alle Bedenken über Bord. Sie stand auf und sagte energisch: “Ich muss darauf bestehen, dass Señor Perez nächste Woche anwesend ist.”
Seine Anwälte verspannten sich, als sie das Wort “bestehen” hörten.
Don Alfonso warf Annalisa einen warnenden Blick zu und sprang auf. “Sie müssen Señorita Wilson verstehen. Diese Angelegenheit liegt ihr am Herzen, und sie möchte sie so schnell wie möglich erledigt wissen.”
“Señor Perez ist sehr beschäftigt”, erwiderte einer der jungen Männer kühl.
Was fiel ihm eigentlich ein! Glaubte er wirklich, sie würde sich wie ein Schulmädchen behandeln lassen? “Das bin ich auch. Lassen Sie mich eins klarstellen: Wenn Señor Perez es nicht für nötig hält, hier zu erscheinen, werden wir uns nie einig werden. Ich gehe dann nämlich davon aus, dass er nicht mehr an meinem Strand interessiert ist.”
“Er ist in England, Señorita Wilson.”
Weitere Kostenlose Bücher