Das spanische Erbe
flüsterte sie.
“Gut beobachtet.” Ramon schien sehr zufrieden zu sein.
“Wem gehört es?”
“Deinem verstorbenen Vater.”
“Nein …” Sie fühlte sich persönlich beleidigt. Warum, das wusste sie selbst nicht. Aber irgendwie passte das Haus nicht hierher.
“Soll ich dir die Vorgeschichte erzählen?”
Annalisa wandte sich um und sah, dass Ramon, die Arme verschränkt, an einem knorrigen Baumstamm lehnte und sie beobachtete. Warum war er der Einzige, der mit ihr über ihren Vater sprach? Hätte nicht Don Alfonso …? Sie drehte sich wieder um und betrachtete schweigend die große Villa.
In diesem Moment betrat eine gut aussehende Frau mittleren Alters die Terrasse. Sie trug ein kurzes rotes Kleid, bewegte sich elegant und hatte ihr wundervolles blondes Haar in einem Knoten zusammengefasst. “Wer ist das?”, fragte Annalisa leise.
“Señora Fuego Montoya, die Witwe deines Vaters.”
Annalisa verspannte sich unwillkürlich. Seit ihrer Ankunft auf der Insel hatte sie nur Gutes über ihren Vater erfahren und ihn immer weniger verachtet. Doch jetzt sah sie ihre Stiefmutter, und alle unterdrückten Gefühle brachen sich Bahn. Eigentlich hatte sie sie ja nicht hassen wollen, aber es fiel ihr sehr schwer. Sie konnte die Frau zwar nicht deutlich erkennen, war sich aber sicher, dass ihre Schuhe und der Lippenstift bestimmt perfekt zu dem Kleid passten. Señora Fuego Montoya konnte man in Modedingen sicher nichts vormachen!
Ramon ging auf Annalisa zu und nahm ihren Arm. “Ist alles in Ordnung? Du hast doch gewusst, dass dein Vater verheiratet war, oder?”
Sie brauchte einen Moment, bis sie die Fassung wiedererlangt hatte. “Ja, natürlich”, antwortete sie dann mit bebender Stimme. Trotzdem war es ein großer Schock, plötzlich mit ihrer Stiefmutter konfrontiert zu werden.
Ramon schien nicht überzeugt zu sein. “Lass uns gehen.”
“Nein …, es macht mir nichts aus, wirklich.”
“Komm mit, Annalisa.”
“Nein.” Sie rührte sich nicht und blickte starr hinüber zu der Frau, die ihr Vater geliebt hatte. “Du wolltest mir etwas erklären. Also bitte.”
“Im Wagen.”
Diesmal ließ sie es zu, dass er sie den Pfad entlang zum Auto führte. Aber als sie schließlich im Wagen saßen, umklammerte Ramon stirnrunzelnd das Lenkrad und schwieg.
“Was ist los?”, fragte Annalisa ungeduldig.
Er wandte sich ihr zu und betrachtete sie besorgt und ungläubig zugleich. “Ich hatte schon heute beim Anwalt das Gefühl, dass du so gut wie nichts über deinen Vater weißt. Und jetzt bin ich mir sicher. Du hast keine Ahnung, wer oder was er gewesen ist.”
Annalisa biss sich auf die Lippe. Wie gern hätte sie diesem Mann vertraut! Immerhin war er in der Lage, die fehlenden Teilchen für das Puzzle zu liefern, das sie schon so lange beschäftigte. Ihr Leben lang war ihr Vater ein Tabuthema gewesen. Deswegen fiel es ihr schwer, plötzlich offen über ihn zu reden – und ganz besonders mit einem Fremden. Was wusste sie schon von Ramon Perez? Er wollte ihr Land … und sie. Dabei war er genau wie ihr Vater verheiratet! Er glaubte doch nicht ernsthaft, dass sie den gleichen Fehler machen würde wie ihre Mutter?
“Ich habe recht, oder?”, fragte Ramon.
“Kann sein. Du bist sicher besser informiert als ich.” Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, dachte sie.
“Wenn ich dir helfen kann, musst du mich nur fragen, Annalisa. Ich bin immer für dich da.”
Die meisten Frauen wären jetzt begeistert gewesen – nur Annalisa nicht. Es war viel zu gefährlich, diesem Mann zu glauben. Außerdem hatte sie Don Alfonso, und dieser würde ihr sicher weiterhelfen. “Ich danke dir, dass du mir das Haus meines Vaters gezeigt hast …” Erstaunt blickte sie ihn an, als er energisch den Kopf schüttelte.
“Er hat dort nie gewohnt. Es tut mir leid, wenn du mich missverstanden hast. Er hat immer auf der Finca gelebt. Als er dann krank wurde und ihm die Arbeit mit den Orangenhainen über den Kopf wuchs, ist er in eine kleine Wohnung in Mahon gezogen. Er hat das Anwesen, das ich dir eben gezeigt habe, für seine Frau Claudia bauen lassen, und zwar nach ihren Wünschen, nicht nach seinen.”
“Das verstehe ich nicht”, antwortete Annalisa verwirrt. “Ich möchte es aber auch gar nicht.”
Ramon schien es nicht glauben zu können. “Du willst also nichts über die Vergangenheit erfahren?”
“Genau. Ich habe meinen Vater nie kennengelernt, und wir sollten es dabei belassen, dass er für mich ein
Weitere Kostenlose Bücher