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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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Gomms schnappte sich seine Felljacke, setzte die Armenierkappe auf, mit der er als zweiter Rousseau hätte durchgehen können, und vertauschte mit uns Wärme und Kälte. Ich wollte freilich nicht bis zu Hause warten und begann sofort mit meiner Befragung, während uns der Schnee ums Haupt fuhr. Es war der letzte Winter, in dem wir mit einem offenen Wagen unterwegs waren.
    »Was für ein Medaillon ist das? Ich habe es bei Madame von Lilienstein-Silves gesehen und die Inschrift gelesen – wer war Juan Gomez?«
    Er schluckte.
    »Juan war mein ... (er stockte, rechnete nach) ... Urururgroßvater väterlicherseits: geboren in Barcelona, am 20. Januar 1664.«
    »Hatte er Geschwister?«
    »Er hatte einen drei Jahre jüngeren Bruder. Der hieß Fernando.«
    »Was wissen Sie noch über Ihre Familie? Ich muss alles erfahren!«
    »Warum sollte ich Ihnen das erzählen?«
    Ich zeigte ihm den königlichen Freibrief, den er sich staunend vorbuchstabierte. Dass er lesen konnte, war eine große Erleichterung. Ob er gar die von Kleist erwähnte Chronik kannte?
    »Geht es gar um den Mord in Deetz?«
    »Wenn es nur der Deetzer Mord wäre! Es geht um viel mehr. Und ich habe eine Vermutung, die ich Ihnen lieber am Kaminfeuer bei einem kräftigen Schluck darlege.«
    Der kräftige Schluck vor lustig prasselnder Flammenwand in der wohnlichen Halle unserer bescheidenen Schlossbehausung gab den Ausschlag – die oft beschworene zungenlösende Eigenschaft des Kanzower Birnenschnapses erhielt wieder einmal ihre leibhaftige Bestätigung:
    »Wir haben uns immer bemüht, die Profession unserer spanischen Vorfahren zu verbergen. Wir mussten es tun, denn Sie wissen, wie man diesem Gewerbe gegenübersteht!«
    Er meinte, ohne es aussprechen zu können: die Henkerei.
    »Es hat inzwischen sieben Morde gegeben, alles Enthauptungen.«
    »So viele? Das haut mich um!«
    Der dies sagte, sah nicht so aus, als könnte ihn leicht etwas umhauen, abgesehen vom Anblick und dem Nudelholz der eigenen Ehefrau, die er zu fürchten schien wie der Teufel das Weihwasser.
    »Fangen wir vorne an«, sagte ich, während ich sein vor Kälte und Schnaps gerötetes Gesicht studierte, das viel mit dem des Mörders gemeinsam hatte: die Breite, die große, vornehm gebogene Nase, die empfindsame hohe Stirn.
    Er seufzte, griff nach dem frisch gefüllten Glas und streckte die Füße behaglich von sich.
    »Sie gingen in die Schweiz, mein Urururgroßvater Juan und seine Frau Ana. Mein Großvater hieß ebenfalls Juan, Juan-Rodriguez, um genau zu sein. Er lebte in der Eidgenossenschaft und arbeitete hin und wieder als Henker in Neuenburg, nebenbei als Bergführer in der Waadt. Er hat den großen Albrecht von Haller auf seiner Tour mit Gessner durch die Alpen geführt! Mehr weiß ich nicht. Keine Daten, keine Vornamen. Alles weg ...«
    Er schaute auf sein Schnapsglas und war erst zufrieden, als es wieder voll war. Drohte mir, im Schnaps abzutreiben, der Knabe, daher fasste ich lieber gleich nach: »Gomez – Gomms? Wie kam es dazu?«
    »Das passierte wohl wie von allein: Er sprach es Gomez, der Zöllner schrieb es Gommes. Später, als mein Großvater ins preußische Neuenburg kam, wurde es zu Gomms. Dabei ist es geblieben.«
    »Ihr Großvater war Henker und Bergführer. Und die andern?«
    »Mein Vater hat mir alles Wichtige über die alten Gomez erzählt. Nur nichts über Felipe ...«
    »Ihren Urgroßvater?«
    »Nein, Felipe lebte noch früher ... Ururgroßvater, schätze ich. Immerhin – auch mein Urgroßvater José-Antonio und mein Großvater Juan-Rodriguez waren noch das, was die meisten anderen männlichen Familienmitglieder vorher gewesen: Henker!«
    Weder das Feuer noch der Birnenbrand entfachten Wirkung bei mir, so hielt das Grauen mich gefasst.
    »Kommen wir auf den Bruder Ihres Urururgroßvaters zurück ... Wann wurde Fernando Gomez geboren?«
    Er trank und überlegte.
    »1664 plus 3, also 1667!«
    »Und wo war er tätig?«
    »Fernando Gomez war der Henker von Cádiz. Ein paar seiner Söhne und Enkel blieben im gleichen Fach. Ich hatte mir aufgeschrieben, was mir mein Vater erzählt hat – auf einem alten Stich des 16-teiligen Galgens von Montfaucon. Aber ich musste ihn vernichten, als ich meine Frau kennenlernte. Ich wollte nicht, dass sie ihn zufällig fände. Und ich habe leider ein schlechteres Gedächtnis, als ich angenommen. Ich habe alles so ziemlich vergessen.« Er stockte und schien von ähnlicher Furcht gepackt zu werden wie ich. »Wird es jetzt öffentlich?«
    »Wie

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