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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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sollte es, wenn Sie mir keine Namen nennen? Vorerst wird gar nichts publik! Und wenn wir den Mörder finden – wer weiß, was dann berichtet wird? Ich werde jedoch alles tun, was in meiner Macht steht, um Sie aus den Gazetten herauszuhalten.«
    Ich wusste selbst nicht, ob ich zu viel versprach, doch er atmete auf und fuhr fort:
    »Ich sah das Medaillon und war wie vom Tode gerührt – als ich sein Gesicht sah, spürte ich bereits, was mir jetzt ganz deutlich geworden ist: Es muss ein Vetter sein. So nennen sich alle Angehörigen der alten Henkersfamilien in ganz Europa. Sie glauben nicht, wie zahlreich wir sind ...«
    Inzwischen war ich mir nicht mehr sicher, ob ich mit dieser Welt und ihrer dunklen Unterschicht unheimlicher Menschen jemals wieder meinen Frieden machen würde.
    »Es gab Verwandte aus der Fernando-Linie, die ebenfalls in der Schweiz lebten, ebenfalls im Fürstentum Neuenburg – soweit ich weiß, in einem kleinen Nest namens Colombier. Alle Namen vergessen, alles weg ...«
    Er blickte flehend auf das Glas. Aber auch die Flasche war leer. Vielleicht hätte ich damals eine zweite entkorken sollen ... Doch ich ließ mich nicht gerne zum Narren halten. Also schob ich ihn in die Kutsche und fuhr ihn nach Hause.
    Ich bin weder vorher noch nachher so oft zwischen Kanzow und der Kapitale gependelt wie in diesen Monaten. Die Straßenverhältnisse Anfang April wurden katastrophal vor lauter Eis und Schnee. Statt auf Rädern saß der Kutschwagen jetzt auf Kufen. Die Anfragen des Königs hatten keinerlei brauchbare Hinweise eingebracht. Die Franzosen hatten sie komplett ignoriert, was die Stammrollen betraf, und ich hatte sie im Verdacht, gar keine zu führen. Bezüglich des Mannes, der Schills Haupt vom Kopf getrennt, gaben sie nur an, dass man ihn nicht aus den eigenen Reihen, sondern von der Straße weg engagiert habe: Ein Metzger sei es gewesen. Der König hatte daraufhin durch von Schlechtendal bei der Metzgerinnung von Stralsund anfragen lassen, ob dies zutreffe, und die Antwort erhalten, dass dies nicht der Fall sei. Als Grund, weshalb der Mörder überhaupt in Stralsund gewesen war, fiel mir nur das spätere Opfer Karl August von Kapell ein: Er war beim Kampf in Schills Himmelfahrtskommando in Stralsund schwer verwundet worden. So hatte er für den Mörder offenbar nicht den nötigen Anreiz geboten. Die Opfer waren nicht zufällig ausgewählt worden – davon war ich überzeugt. Also war es für ihn entscheidend, dass sie in guter körperlicher Verfassung waren. Der Mord sollte als solcher auch klar erkannt und nicht mit einer irgendwie erlittenen Verletzung verwechselt werden.
    Ich war über Nacht bei Evelyn gewesen, die mir das Neueste viel besser hatte berichten können als jede Gazette: Hermine hatte einen Freund! Man munkelte, dass es ein Prinz sei – denn man habe ihn schon mehrfach hoch verschlossenen Mantels und mit einer Larve vor dem Gesicht (die hohe, dreifach beschränkte Zeit des Karnevals, man möge sich dessen entsinnen, war bereits vorüber) zu ihrem Haus kommen und aus demselben wieder Abschied nehmen sehen. Als hätte ich es nicht gewusst! Ich freute mich ihres Glückes, wie es meine Art ist. Andererseits war ich begreiflicherweise ein bisschen pikiert. Man misst den Grad der Freundschaft am Grad der Vertraulichkeit, die man genießt. Hermine, der ich trotz meiner Literaturschwäche bei jedem Roman als vertraute Erstleserin gedient und so dem Publikum manche sprachliche und logische Stilblüte vorenthalten hatte, sank auf den Rang einer entfernten zufälligen Bekannten herab. Ich verzichtete verständlicherweise auf einen Besuch bei ihr.
    Auch bei der Königin hatte ich nur einen kleinen Auftritt, da sich die Ärmste für eine Reise nach Potsdam rüsten musste, wo am 10. April die Paraden anfingen. Hätte ihr Gatte nicht etwas mehr Rücksicht auf ihre Gesundheit nehmen können? Sie keuchte ganz jämmerlich, ward aber nicht müde, von meiner Frauenvereinsidee zu sprechen, die ihr anscheinend mehr durch den Kopf spukte als mir selbst.
    »Ich werde meinen Vater besuchen! Wenn nicht im April, so im Mai! Wenn nicht im Mai, so im Juni! Wenn nicht im Juni, dann im Juli! Sie müssen mitkommen. Sie müssen den ganzen Verein mitbringen. Wir wollen uns für den künftigen Krieg als Frauen kräftigen!«
    Hatte sie nicht eben etwas Blut in ihr Taschentuch gehustet?
    »Nasenbluten, meine Liebe! Es ist nur eine trockene Nase ...« Auf dem Bock die beiden Braunen antreibend, die mich zum

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