Das Spiel
mit Gerald nicht. Ich kann mich nicht genau erinnern, was es ist, aber ich glaube, er ist krank.
(Aber sie wusste, krank war nicht das richtige Wort.)
Jedoch, und das war seltsam, ein anderer Teil ihres Verstands wollte gar nicht aus diesem schiefen, nebligen Korridor entkommen. Dieser Teil deutete an, dass es viel besser war, wenn sie hierblieb. Dass es ihr leidtun würde, wenn sie ging. Und so blieb sie noch eine Weile.
Was sie schließlich wieder aus ihrer Erstarrung riss, war der bellende Hund. Es war ein über die Maßen hässliches Bellen, tief, aber in den oberen Registern mit schrillen Gicksern. Jedes Mal, wenn das Tier eines ertönen ließ, hörte es sich an, als würde es eine Handvoll scharfer Splitter kotzen. Sie hatte dieses Bellen schon einmal gehört, aber es konnte besser sein – sogar viel besser -, wenn es ihr gelang, sich nicht daran zu erinnern, wann das war oder wo, oder was zu der Zeit geschehen war.
Aber immerhin setzte es sie in Bewegung – linker Fuß, rechter Fuß, guter Fuß, schlimmer Fuß – und plötzlich fiel ihr ein, sie könnte besser durch den Nebel sehen, wenn sie die Augen aufschlug, daher tat sie es. Sie sah keinen unheimlichen Flur aus Twilight Zone vor sich, sondern das Elternschlafzimmer ihres Sommerhauses am nördlichen Ende des Kashwakamak Lake – dem Gebiet, das als Notch Bay bekannt war. Sie vermutete, dass sie nur deshalb gefroren hatte, weil sie nur ein Bikiniunterteil anhatte, und ihr Hals und die Schultern taten weh, weil sie mit Handschellen an die Bettpfosten gefesselt und in ihrer Bewusstlosigkeit mit dem Hinterteil vom Bett gerutscht war. Kein schiefer Korridor; keine neblige Feuchtigkeit. Nur der Hund war echt, er bellte sich immer noch die verdammte Lunge aus dem Hals. Es hörte sich an, als wäre er jetzt nahe am Haus. Wenn Gerald das hörte …
Beim Gedanken an Gerald zuckte sie zusammen, und dieses Zusammenzucken jagte komplexe Spiralfunken von Schmerzen durch ihre verkrampften Bizeps und Trizeps. Das Kribbeln verlor sich an den Ellbogen im Nichts, und Jessie stellte voll zähem, halbwachem Missfallen fest, dass ihre Unterarme fast völlig gefühllos waren und ihre Hände ebenso gut Handschuhe voll geronnenem Kartoffelpüree sein konnten.
Das wird wehtun, dachte sie, und dann fiel ihr alles wieder ein … besonders das Bild von Gerald, wie er den Kopfsprung vom Bett machte. Ihr Mann lag auf dem Boden, entweder tot oder bewusstlos, und sie lag hier oben auf dem Bett und dachte, was für ein Verdruss es war, dass ihre Arme und Hände eingeschlafen waren. Wie egoistisch und egozentrisch konnte man eigentlich werden?
Wenn er tot ist, ist er selber schuld, sagte die Ohne-Scheiß-Stimme. Sie versuchte, noch ein paar Binsenweisheiten loszuwerden, aber Jessie brachte sie zum Schweigen. In ihrem halbwachen Zustand besaß sie einen klareren Einblick in die tieferen Archive ihrer Speicherbänke, und plötzlich wurde ihr klar, wessen Stimme – etwas näselnd, abgehackt, immer am Rand eines sarkastischen Lachens – das war. Sie gehörte Ruth Neary, ihrer Zimmergenossin am College. Nachdem Jessie es nun wusste, war sie kein bisschen überrascht. Ruth hatte ihre guten Ratschläge stets verschwenderisch um sich geworfen, und ihr Rat hatte die neunzehnjährige, hinter den Ohren noch grüne Zimmergenossin aus Falmouth Foreside häufig in Verlegenheit gebracht … was zweifellos Absicht war, jedenfalls teilweise; Ruth hatte das Herz immer am rechten Fleck gehabt, und Jessie hatte nie daran gezweifelt, dass Ruth sechzig Prozent von dem glaubte, was sie von sich gab, und vierzig Prozent von allem, was sie angeblich schon erlebt haben wollte, tatsächlich erlebt hatte. Wenn es um sexuelle Dinge ging, lag der Prozentsatz wahrscheinlich noch höher. Ruth Neary, die erste Frau, die Jessie kennengelernt hatte, die sich strikt weigerte, Beine und Achselhöhlen zu rasieren; Ruth, die einmal den Kissenbezug einer unangenehmen Etagenaufsicht mit Erdbeerschaumbad gefüllt hatte; Ruth, die zu jeder Studentenveranstaltung ging und schon aus Prinzip jede experimentelle Studentenaufführung besuchte. Wenn alle Stricke reißen, Süße, ist bestimmt ein gut aussehender Typ dabei, der sich nackt auszieht, hatte sie einer erstaunten, aber faszinierten Jessie erzählt, als sie von einer Studentenvorführung von etwas mit dem Titel »Der Sohn von Noahs Papagei« nach Hause gekommen war. Ich meine, das passiert nicht immer, aber normalerweise – ich glaube, Theaterstücke von Studenten
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