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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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war natürlich eine dumme Frage, unglaublich dumm, aber sie ließ sich viel leichter stellen als die, die ihr tatsächlich durch den Kopf gingen: Gerald, wie schlimm bist du verletzt? Gerald, glaubst du, du wirst sterben?
    Natürlich wird er nicht sterben, sagte Goodwife nervös. Du hast ihm wehgetan, wirklich weh, und du solltest dich schämen, aber er wird nicht sterben. Niemand wird hier sterben.
    Geralds geschürzter Schmollmund bebte weiter lautlos, aber er beantwortete ihre Frage nicht. Eine Hand hatte er auf den Bauch gedrückt, mit der anderen hielt er sich die schmerzenden Hoden. Dann hob er sie beide und drückte sie auf die linke Brustwarze. Sie ließen sich nieder wie zwei pummelige rosa Vögel, die zu müde zum Weiterfliegen waren. Jessie konnte den Umriss eines bloßen Fußes – ihres bloßen Fußes – auf dem rundlichen Bauch ihres Mannes abgebildet sehen. Es war ein helles, vorwurfsvolles Rot auf der rosa Haut.
    Er atmete aus, oder versuchte es, und gab einen üblen Dunst von sich, der nach faulen Zwiebeln roch. Atemreserve, dachte sie. Die letzten zehn Prozent unseres Lungeninhalts sind Atemreserve, haben sie uns das nicht an der Highschool in Biologie beigebracht? Ja, ich glaube schon, Atemreserve, der legendäre letzte Luftvorrat von Ertrinkenden und Erstickenden. Wenn man den ausstößt, wird man entweder bewusstlos oder man …
    »Gerald!«, schrie sie mit schneidender zänkischer Stimme. »Gerald, atme!«
    Seine Augen quollen aus den Höhlen wie blaue Murmeln in einem unansehnlichen Klumpen Plastilin, und es gelang ihm, einmal kurz Luft zu holen. Er nutzte es, um ein letztes Wort zu ihr zu sagen, dieser Mann, der manchmal nur aus Worten zu bestehen schien.
    »... Herz...«
    Das war alles.
    »Gerald!« Jetzt hörte sie sich nicht nur zänkisch, sondern auch betroffen an, eine altjüngferliche Dorfschullehrerin, die den Schwarm der zweiten Klasse dabei erwischt hatte, wie sie den Rock hochzog und den Jungs die Blümchen auf ihrer Unterhose zeigte. »Gerald, hör auf herumzukaspern, und atme, verdammt!«
    Gerald atmete nicht. Stattdessen verdrehte er die Augen in den Höhlen und entblößte gelbliche Augäpfel, die wie das Weiß blutiger Eier aussahen. Die Zunge schnellte mit einem geräuschvollen Furzen aus seinem Mund. Ein Strahl trüben, orangeroten Urins schoss aus seinem erschlafften Penis, und ihre Knie und Schenkel wurden von fiebrig heißen Tropfen überschüttet. Jessie stieß einen langgezogenen, gellenden Schrei aus. Dieses Mal merkte sie nicht, dass sie an den Handschellen zerrte oder sie dazu benutzte, sich so weit wie möglich von ihm wegzuziehen, wobei sie die Beine unbehaglich an sich zog.
    »Hör auf, Gerald! Hör auf damit, sonst fällst du noch vom B…«
    Zu spät. Selbst wenn er sie noch hätte hören können, was ihr rationaler Verstand bezweifelte, wäre es zu spät gewesen. Sein gekrümmter Rücken bugsierte den Oberkörper über die Bettkante, und die Schwerkraft erledigte den Rest. Gerald Burlingame, mit dem Jessie einmal Sahnehörnchen im Bett gegessen hatte, fiel mit gesenktem Kopf und hochgestreckten Knien hinunter wie ein unbeholfenes Kind, das seine Freunde beim Freischwimmen im Pool des CVJM beeindrucken wollte. Als sie hörte, wie sein Schädel auf den Holzboden schlug, musste sie wieder schreien. Es hörte sich an, als würde ein riesiges Ei am Rand einer Steingutschüssel aufgeschlagen. Sie hätte alles dafür gegeben, wenn sie es nicht hätte hören müssen.
    Dann herrschte Schweigen, das nur vom fernen Brummen der Motorsäge unterbrochen wurde. Eine große graue Rose entfaltete sich in der Luft vor Jessies Augen. Die Blütenblätter gingen immer mehr auf, und als sie sich wieder um sie schlossen wie die staubigen Flügel riesiger farbloser Falter und eine Zeit lang alles verdeckten, verspürte sie nur eine deutliche Empfindung, nämlich Dankbarkeit.

2
     
     
     
    Sie schien in einem langen, kalten Korridor voll weißem Nebel zu sein, einem Korridor, der deutlich zur Seite geneigt war wie die Flure, die die Leute in Filmen wie Nightmare – Mörderische Träume oder Fernsehserien wie Twilight Zone immer entlangzugehen schienen. Sie war nackt, und die Kälte setzte ihr echt zu und tat ihr in den Muskeln weh – besonders in den Rücken-, Hals- und Schultermuskeln.
    Ich muss hier raus, sonst werde ich krank, dachte sie. Ich bekomme schon Krämpfe vom Nebel und der Feuchtigkeit.
    (Aber sie wusste, es lag nicht an Nebel und Feuchtigkeit.)
    Außerdem stimmt etwas

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