Das Spiel
Schmerzen waren schlimm, und das Gefühl, dass sich der rechte Arm vom Rest des Körpers losreißen wollte, war schlimmer, aber das alles ging in einem Aufruhr von Hoffnung und Triumph unter. Sie verspürte eine fast göttliche Freude darüber, dass sie sich vom Bett wälzen konnte, ohne von einer Handschelle um das Handgelenk aufgehalten zu werden. Ein neuerlicher Krampf überfiel sie und bohrte sich in ihren Unterleib wie das Ende eines Baseballschlägers Marke Louisville Slugger, aber sie achtete nicht darauf. Hatte sie das Gefühl Freude genannt? Oh, das Wort war viel zu milde. Es war Ekstase. Unverhohlene, regelrechte Ekst…
Jessie! Die Bettkante! Himmel, anhalten!
Es sah nicht wie die Bettkante aus; es sah wie der Rand der Welt auf einer altmodischen Karte vor Kolumbus aus. Dahinter seyen Ungeheuern und Seeschlangen, dachte sie. Ganz zu schweigen von einem gebrochenen linken Handgelenk. Anhalten, Jess!
Aber ihr Körper missachtete den Befehl; er rollte weiter, mitsamt den Krämpfen, und Jessie hatte gerade noch Zeit, die linke Hand in der Handschelle zu drehen, bevor sie mit dem Bauch auf die Bettkante aufschlug und dann ganz herunterrutschte. Ihre Zehen landeten mit wuchtiger Erschütterung auf dem Boden, aber es waren nicht nur die Schmerzen, die sie aufschreien ließen. Schließlich berührten ihre Zehen tatsächlich wieder den Boden. Sie berührten tatsächlich den Boden.
Sie beendete ihre linkische Flucht vom Bett mit einem immer noch am Bettpfosten hängenden, starr ausgestreckten linken Arm – sie sah aus, als wollte sie einem Taxi winken -, während der rechte Arm vorübergehend zwischen ihrer Brust und der Bettseite eingeklemmt war. Sie konnte spüren, wie warmes Blut auf ihre Haut gepumpt wurde und an den Brüsten hinablief.
Jessie drehte das Gesicht auf eine Seite, dann musste sie in dieser neuen schmerzhaften Haltung ausharren, während ein Krampf von lähmender, glasklarer Heftigkeit ihren Rücken vom Nacken bis zum Ansatz der Pofalte im Griff hielt. Das Laken, an das sie Brüste und aufgeschnittene Hand drückte, wurde von Blut getränkt.
Ich muss aufstehen, dachte sie. Ich muss sofort aufstehen, sonst werde ich genau hier verbluten.
Der Krampf in ihrem Rücken ließ nach, und jetzt konnte sie endlich die Füße fest unter sich auf den Boden stemmen. Ihre Beine waren längst nicht so schwach und wacklig, wie sie gedacht hatte, sie schienen sogar förmlich darauf zu brennen, ihren ursprünglichen Verwendungszweck zu erfüllen. Jessie drückte sich hoch. Die Handschelle um den Bettpfosten zur Linken rutschte, so weit sie konnte, hoch, bis sie auf das nächsthöhere Querbrett stieß, und Jessie befand sich plötzlich in einer Haltung, die sie nicht mehr für möglich gehalten hätte: Sie stand auf beiden Beinen neben dem Bett, das ihr Gefängnis gewesen war … beinahe ihr Sarg.
Ein Gefühl unermesslicher Dankbarkeit drohte sie zu überwältigen, aber sie wehrte sich so verbissen dagegen wie gegen die Panik. Zeit für Dankbarkeit war später, aber momentan durfte sie nicht vergessen, dass sie immer noch an das Scheißbett gekettet und ihre Zeit, sich davon zu befreien, mehr als begrenzt war. Es war richtig, dass sie bis jetzt noch nicht das geringste Gefühl von Schwindel oder Ohnmacht gespürt hatte, aber sie hatte den Verdacht, dass das nichts zu sagen hatte. Wenn der Zusammenbruch kam, würde er wahrscheinlich unvermittelt kommen; so als würde man eine Glühbirne ausschießen.
Dennoch war Aufstehen – nur das, und nichts mehr – je so großartig gewesen? So unaussprechlich großartig?
»Niemals«, krächzte Jessie.
Jessie, die den rechten Arm über die Brust hielt und die Wunde innen am Handgelenk fest auf die obere Wölbung des linken Busens hielt, machte eine halbe Drehung und drückte den Po an die Wand. Sie stand jetzt neben der linken Seite des Betts in einer Haltung, die fast an das »Rührt euch« eines Soldaten erinnerte. Sie holte lange und tief Luft, dann bat sie den rechten Arm und die übel zugerichtete rechte Hand, sich wieder an die Arbeit zu machen.
Der Arm hob sich knirschend wie der Ausleger eines verwahrlosten mechanischen Spielzeugs, und ihre Hand legte sich auf das Regal über dem Bett. Der dritte und der vierte Finger weigerten sich immer noch, ihren Befehlen zu gehorchen, aber Jessie konnte das Regal so fest zwischen den Daumen und die beiden ersten Finger nehmen, dass sie es von den Halterungen stoßen konnte. Es landete auf der Matratze, auf der sie so
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