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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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der Schaden in der rechten Hand so wichtig wie die Preise von Schweinebäuchen in Omaha. Wichtig war, dass der Daumen und die beiden ersten Finger dieser Hand noch Botschaften empfingen. Sie zitterten ein wenig, als wollten sie Betroffenheit über den Verlust ihrer Nachbarn seit Lebenszeit ausdrücken, aber sie reagierten noch.
    Jessie neigte den Kopf und sprach mit ihnen.
    »Ihr müsst damit aufhören. Später könnt ihr zittern wie verrückt, wenn ihr wollt, aber momentan müsst ihr mir helfen. Ihr müsst.« Ja. Denn die Vorstellung, die Schlüssel fallen zu lassen oder von der Kommode zu stoßen, nachdem sie so weit gekommen war … das war undenkbar. Sie sah ihre Finger streng an. Sie hörten nicht auf zu zittern, nicht ganz, aber unter Jessies Blick wurde das Zittern der Finger zu einem kaum sichtbaren Beben.
    »Okay«, sagte sie leise. »Ich weiß nicht, ob das gut genug ist, aber wir werden’s ja herausfinden.«
    Immerhin waren die Schlüssel gleich, wodurch sie zwei Chancen hatte. Sie fand es keineswegs befremdlich, dass Gerald beide mitgebracht hatte; er ging stets systematisch vor. Alle Eventualitäten einzuplanen, hatte er häufig gesagt, machte den Unterschied aus, ob man nur gut oder hervorragend war. Die einzigen Eventualitäten, die er dieses Mal nicht einkalkuliert hatte, waren der Herzanfall und der Fußtritt, der ihn ausgelöst hatte. Die Folge war natürlich, dass er weder gut noch hervorragend war, sondern einfach nur tot.
    »Hundefutter«, murmelte Jessie. »Gerald used to be a winner, but now he’s just the doggy’s dinner – Gerald war ein Siegertyp, aber jetzt ist er nur noch Hundefutter. Richtig, Ruth? Richtig, Punkin?«
    Sie nahm einen kleinen Stahlschlüssel zwischen Daumen und Zeigefinger der brennenden rechten Hand (als sie das Metall berührte, stellte sich das überzeugende Gefühl wieder ein, dass alles ein Traum war), hob ihn hoch und betrachtete ihn und dann die Handschelle, die ihr linkes Handgelenk umklammerte. Das Schloss bestand aus einer kleinen kreisförmigen Vertiefung an der Seite; Jessie fand, dass es wie eine Klingel aussah, die reiche Leute am Dienstboteneingang ihrer Villa haben mochten. Um das Schloss zu öffnen, musste man einfach den hohlen Schaft des Schlüssels in diesen Kreis schieben, bis man ihn einrasten hörte, und dann drehen.
    Sie führte den Schlüssel in Richtung Schloss, aber bevor sie den Schaft einführen konnte, rollte wieder eine Woge dieser eigentümlichen Dunkelheit über ihr Denken hinweg. Sie schwankte auf den Füßen und musste wieder an Karl Wallenda denken. Ihre Hand fing erneut zu zittern an.
    »Hör auf!«, schrie sie verbittert und stieß den Schlüssel verzweifelt in Richtung Schloss. »Hör auf mit d…«
    Der Schlüssel verfehlte den Kreis, stieß stattdessen gegen den harten Stahl daneben und drehte sich in ihren vom Blut glitschigen Fingern. Sie konnte ihn noch einen Sekundenbruchteil festhalten, dann entglitt er ihrem Griff – ging sozusagen geschmiert – und fiel auf den Boden. Jetzt hatte sie nur noch einen Schlüssel übrig, und wenn sie den auch noch verlor, dann Gnade Gott.
    Wirst du nicht, sagte Punkin. Ich schwöre es. Nimm ihn einfach, bevor du den Mut verlierst.
    Sie spannte den rechten Arm einmal, dann hob sie die Finger zum Gesicht. Sie betrachtete sie eingehend. Das Zittern klang wieder ab, zwar nicht so sehr, dass sie zufrieden gewesen wäre, aber sie konnte nicht mehr warten. Sie hatte Angst, sie würde das Bewusstsein verlieren, wenn sie zu lange wartete.
    Sie streckte eine schwach zitternde Hand aus und hätte den Schlüssel beim ersten Versuch, ihn zu greifen, um ein Haar von der Kommode gestoßen. Es lag an der Taubheit – der gottverdammten Taubheit, die einfach nicht aus ihren Fingern weichen wollte. Sie holte tief Luft, hielt den Atem an, ballte die Faust, obwohl ihr das teuflische Schmerzen bereitete und das Blut wieder zu strömen anfing, dann stieß sie die Luft in Form eines langen Stoßseufzers aus der Lunge. Danach ging es ihr etwas besser. Dieses Mal drückte sie den Zeigefinger auf den runden Kopf des Schlüssels und schob ihn bis zum Rand der Kommode, anstatt zu versuchen, ihn gleich hochzuheben. Sie hielt erst inne, als er über die Kante hinausragte.
    Wenn du ihn fallen lässt, Jessie!, stöhnte Goodwife. Oh, wenn du den auch noch fallen lässt!
    »Halt den Mund, Goody«, sagte Jessie, drückte den Daumen von unten gegen den Schlüssel und bildete so eine Pinzette. Dann versuchte sie, überhaupt

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