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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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runtersehen und wusste, warum er Muffensausen hatte. Die Wunde am Handgelenk musste wieder aufgeplatzt sein, weil die Monatsbinde, die ich darumgewickelt hatte, durchgeweicht war. Auch die Vorderseite meiner Bluse war blutgetränkt, als hätte ich die schlimmste Periode der Welt bekommen. Ich saß in Blut, es war Blut auf dem Lenkrad, Blut auf dem Armaturenbrett, Blut auf dem Schalthebel … es waren Spritzer auf der Windschutzscheibe. Das meiste war getrocknet und hatte die schreckliche Rostfarbe angenommen, die getrocknetes Blut hat – ich finde, es sieht wie Schokoladenmilch aus -, aber einiges war noch feucht und rot. Wenn du so etwas nicht gesehen hast, Ruth, kannst du dir keinen Begriff davon machen, wie viel Blut in einem Menschen steckt. Kein Wunder, dass Jimmy ausgeflippt ist.
    Ich wollte aussteigen – ich glaube, ich wollte ihm zeigen, dass ich das aus eigenem Antrieb kann, um ihn zu beruhigen -, aber ich stieß mir die Hand am Lenkrad an, und alles wurde grauweiß. Ich verlor nicht völlig das Bewusstsein, aber es war, als wären die letzten Kabel zwischen meinem Kopf und meinem Körper gekappt worden. Ich weiß noch, dass ich vornübergekippt bin und gedacht habe, ich würde meine Abenteuer damit beenden, dass ich mir die Zähne auf dem Asphalt ausschlug … und das, nachdem ich erst letztes Jahr ein Vermögen für die Kronen der oberen Schneidezähne ausgegeben hatte. Dann hielt Jimmy mich fest … direkt an den Busen, wie ich anmerken möchte. Ich hörte, wie er in den Laden rief: »He! He! Ich brauche Hilfe hier draußen!« – eine hohe, schrille Altmännerstimme, die ich komisch fand … aber ich war zu erschöpft zum Lachen. Ich legte den Kopf seitlich an sein Hemd und holte keuchend Luft. Ich konnte spüren, wie mein Herz raste, aber kaum schlug, als hätte es keinen Grund zu schlagen. Etwas Licht und Farbe strömten wieder in den Tag ein, und ich sah ein halbes Dutzend Männer, die nachsehen kamen, was los war. Lonnie Dakin war auch dabei. Er aß ein Brötchen und trug ein rosa T-Shirt mit der Aufschrift: Es gibt keinen einzigen Trunkenbold in dieser Stadt – wir wechseln uns nur alle ab. Komisch, woran man sich erinnert, wenn man glaubt, dass man sterben muss, was?
    »Wer hat Ihnen das angetan, Jessie?«, fragte Jimmy. Ich versuchte, ihm zu antworten, brachte aber kein Wort heraus. Was wahrscheinlich auch besser war, wenn man bedenkt, was ich sagen wollte. Ich glaube, ich wollte »mein Vater« antworten.
    Jessie drückte die Zigarette aus, dann betrachtete sie die oberste Fotografie des Stapels Zeitungsausschnitte. Das schmale, missgestalte Gesicht von Raymond Andrew Joubert erwiderte ihren Blick starr … so wie er sie in der ersten Nacht aus der Ecke des Schlafzimmers und in der zweiten aus dem Arbeitszimmer ihres jüngst verstorbenen Mannes angesehen hatte. Fast fünf Minuten verstrichen mit diesem stummen Nachdenken. Dann zündete sich Jessie eine Zigarette an, als wäre sie gerade aus einem kurzen Nickerchen erwacht, und wandte sich wieder dem Brief zu. Der Zähler zeigte inzwischen an, dass sie auf Seite sieben war. Sie streckte sich, hörte das leise Knacken ihrer Wirbelsäule und berührte wieder die Tastatur. Der Cursor setzte seinen Tanz fort.
     
    Zwanzig Minuten später – zwanzig Minuten, in denen ich feststellte, wie süß und besorgt und liebenswert tollpatschig Männer sein können (Lonnie Dakin hat mich gefragt, ob ich etwas Midol wollte) – lag ich im Notarztwagen in Richtung Northern Cumberland Hospital, der mit Blinklicht und heulender Sirene fuhr. Eine Stunde danach lag ich in einem dieser Krankenbetten und hörte einem Country-Music-Arschloch zu, der sang, wie schwer das Leben war, seit seine Frau ihn verlassen hatte und der Lieferwagen kaputt war.
    Damit ist Teil eins meiner Geschichte weitgehend erzählt, Ruth – nenne ihn »Little Neil geht übers Eis« oder »Wie ich den Handschellen entkam und mich in Sicherheit bringen konnte«. Es folgen noch zwei Teile, die ich »Danach« und »Der Clou« nennen möchte. »Danach« werde ich überspringen, weil dieser Teil wirklich nur interessant ist, wenn man auf Hauttransplantationen und Schmerzen steht, aber hauptsächlich weil ich möglichst schnell zum Teil »Der Clou« kommen will, bevor ich zu müde und computerüberdrüssig bin, ihn so zu schildern, wie er geschildert werden muss. Und wie Du verdient hast, ihn erzählt zu bekommen, wenn ich so darüber nachdenke. Dieser Gedanke ist mir gerade gekommen, und er ist

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