Das Spiel
sah nicht auf den Bildschirm des PC; sie hatte nur Augen für den wunderbaren Ausblick auf die Eastern Prom und Casco Bay dahinter. Die Sonne schien immer noch, und es schneite noch, obwohl der Schneefall eindeutig nachließ.
»Der Teufel schlägt seine Frau«, bemerkte Meggie.
»Bitte?«, sagte Jessie lächelnd.
»Das hat meine Mutter immer gesagt, wenn die Sonne herauskam, bevor es aufgehört hat zu schneien.« Meggie sah ein bisschen verlegen drein, während sie die Hand nach dem leeren Glas ausstreckte. »Ich bin nicht sicher, was es bedeuten sollte.«
Jessie nickte. Die Verlegenheit in Meggie Landis’ Gesicht war etwas anderem gewichen – etwas, was Jessie als Unbehagen interpretierte. Einen Augenblick lang hatte sie keine Ahnung, warum Meggie so dreinschauen sollte, aber dann fiel es ihr ein – etwas so Offensichtliches, dass man es leicht übersehen konnte. Es war das Lächeln. Meggie war nicht daran gewöhnt, Jessie lächeln zu sehen. Jessie wollte ihr versichern, dass alles in Ordnung war, dass das Lächeln nicht bedeutete, sie würde vom Stuhl aufspringen und Meggie die Kehle zerfleischen.
Stattdessen sagte sie zu ihr: »Meine Mutter pflegte zu sagen: ›Die Sonne scheint nicht jeden Tag auf denselben Hundearsch.‹ Ich habe auch nie gewusst, was das bedeuten sollte.«
Jetzt sah die Haushälterin in Richtung des Mac, aber lediglich mit einem achtlosen Blinzeln: Es wird Zeit, Ihre Spielsachen aufzuräumen, Missus, sagte der Blick. »Die Pille wird Sie müde machen, wenn Sie nicht einen Happen nachschieben. Ich habe Ihnen ein Sandwich gemacht, und auf dem Herd steht warme Suppe.«
Suppe und Sandwich – Kindernahrung, wie man sie bekam, wenn man den ganzen Vormittag Schlitten gefahren war, weil die Schule wegen Sturmwarnung ausfiel; ein Essen, das man zu sich nahm, wenn die Kälte noch auf den Wangen brannte wie ein Freudenfeuer. Es hörte sich absolut prima an, aber …
»Ich muss passen, Meg.«
Meggie runzelte die Stirn und zog die Mundwinkel nach unten. Das war ein Ausdruck, den Jessie am Anfang, als sie Meggie eingestellt hatte, oft zu sehen bekam, wenn sie manchmal so dringend eine zusätzliche Schmerztablette wollte, dass sie aufschrie. Aber Meggie hatte ihren Tränen nie nachgegeben. Jessie vermutete, dass sie die kleine Irin genau deshalb eingestellt hatte – sie hatte von Anfang an gewusst, dass Meggie nicht zur nachgiebigen Sorte gehörte. Wenn es sein musste, konnte sie sogar ausgesprochen hartherzig sein … aber diesmal würde Meggie ihren Willen nicht durchsetzen.
»Sie müssen essen, Jess. Sie sind die reinste Vogelscheuche.« Jetzt wurde dem überquellenden Aschenbecher der Peitschenhieb ihres missfälligen Blickes zuteil. »Und mit dem Mist müssen Sie auch aufhören.«
Ich sorge dafür, dass du aufhörst, stolze Schöne mein, sagte Gerald in ihrem Kopf, und Jessie erschauerte.
»Jessie? Alles in Ordnung? Zieht es?«
»Nein. Ich habe nur wie Espenlaub gezittert.« Sie lächelte verhalten. »Wir sind heute ein regelrechter Hausschatz alter Sprichwörter, was?«
»Man hat Ihnen immer wieder gesagt, Sie sollen es nicht übertreiben …«
Jessie streckte die schwarz umhüllte rechte Hand aus und berührte damit zaghaft Meggies linke. »Meine Hand wird wirklich besser, oder nicht?«
»Ja. Wenn Sie damit drei Stunden oder länger an dieser Maschine schreiben konnten, ohne nach der Pille zu schreien, kaum dass ich den Kopf zur Tür hereingesteckt habe, wird es vermutlich schneller besser, als Dr. Magliore gedacht hat. Trotzdem …«
»Trotzdem geht es ihr besser, und das ist prima … richtig?«
»Natürlich ist das prima.« Die Haushälterin sah Jessie an, als hätte sie den Verstand verloren.
»Und jetzt versuche ich, auch den Rest von mir wieder auf Vordermann zu bringen. Erster Schritt ist ein Brief an eine alte Freundin. Ich habe mir geschworen – letzten Oktober, während meiner schweren Zeit -, sollte ich lebend aus dem Schlamassel herauskommen, in dem ich mich befand, würde ich ihr schreiben. Aber ich habe es immer hinausgeschoben. Jetzt habe ich es endlich versucht, und ich wage nicht, damit aufzuhören. Andernfalls verliere ich vielleicht den Mut.«
»Aber die Pille …«
»Ich glaube, ich habe gerade noch Zeit, das hier zu Ende zu bringen und den Ausdruck in einen Umschlag zu stecken, bevor ich zu müde zum Arbeiten werde. Dann kann ich ein langes Nickerchen halten, und wenn ich aufwache, nehme ich ein frühes Abendessen zu mir.« Sie berührte wieder Meggies
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