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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Lebensgefährten zu leben, und der Staat vergaß ihn … mal abgesehen davon, dass er ihm einen Führerschein gegeben hat. Er machte die Fahrprüfung und bekam einen rechtsgültigen – irgendwie finde ich das von allem am erstaunlichsten -, und irgendwann Ende 1984 oder Anfang 1985 begann er damit seine Rundreise zu den dortigen Friedhöfen. Er war ein vielbeschäftigter Junge. Im Winter hatte er seine Grüfte und Mausoleen; im Herbst und Frühling brach er in Sommerlager und Ferienhäuser überall im westlichen Maine ein und nahm alles mit, was ihm gefiel – »meine Sachen«, Du weißt schon. Offenbar war er ganz vernarrt in gerahmte Fotos. Sie haben vier Kisten auf dem Dachboden des Hauses in der Kingston Road gefunden. Brandon sagt, dass sie immer noch zählen, aber alles in allem werden es wahrscheinlich über siebenhundert sein.
    Man kann unmöglich sagen, in welchem Maße »Daddy-Mami« daran beteiligt waren, bevor Joubert sie allegemacht hat. Wahrscheinlich in größerem Maße, denn Joubert bemühte sich nicht im Geringsten, zu verheimlichen, was er machte. Was die Nachbarn anbelangt, scheinen sie nach dem Motto »Sie haben ihre Rechnungen bezahlt und sind für sich geblieben – ging uns nichts an« gehandelt zu haben. Dem ist eine grimmige Art von Perfektion eigen, findest Du nicht auch? Neuengland-Gothic aus dem Journal of Aberrant Psychiatry . Im Keller haben sie einen zweiten, größeren Weidenkorb gefunden. Brandon hat Fotokopien der Polizeifotos dieses speziellen Fundes mitgebracht, wollte sie mir aber anfangs nicht zeigen. Nun … das ist eigentlich ein bisschen zu milde ausgedrückt. Das war das einzige Mal, dass er der Versuchung erlag, für die alle Männer anfällig zu sein scheinen – Du weißt, welche ich meine; die, John Wayne zu spielen. »Kommen Sie, kleine Lady, sehen Sie einfach so lange in die Wüste, bis wir an allen toten Indianern vorbei sind. Ich sage Ihnen, wenn’s so weit ist.«
    »Ich gebe gerne zu, dass Joubert wahrscheinlich bei euch im Haus war«, sagte er. »Ich müsste ein Vogel Strauß sein und den Kopf in den Sand stecken, wenn ich die Vorstellung nicht zumindest akzeptieren würde; alles passt zusammen. Aber beantworte mir Folgendes: Warum machst du weiter damit, Jessie? Was kann es dir nutzen?«
    Ich wusste nicht, wie ich das beantworten sollte, Ruth, aber eins wusste ich: Ich konnte nichts tun, was noch etwas schlimmer machen würde, als es sowieso schon war. Also blieb ich hartnäckig, bis Brandon einsah, dass die kleine Lady nicht wieder in die Postkutsche einsteigen würde, wenn sie nicht einen Blick auf die toten Indianer werfen konnte. Und so bekam ich die Bilder zu sehen. Das, welches ich am längsten ansah, hatte ein Schild mit der Aufschrift State Police Beweisstück 217 in der oberen Ecke. Als ich es ansah, war mir, als würde ich ein Video sehen, das jemand von meinem schlimmen Alptraum gemacht hat. Das Foto zeigte einen rechteckigen Weidenkorb, der offen stand, damit der Fotograf den Inhalt aufnehmen konnte, bei dem es sich um Knochen und Juwelen handelte; ein bisschen Tand, einiges Wertvolles, manches aus Sommerhäusern gestohlen und manches zweifellos von den kalten Händen von Leichen in städtischen Kühlhallen gezogen.
    Ich betrachtete das Bild, so kalt und nüchtern wie Polizeifotos irgendwie immer sind, und war wieder in dem Haus am See – auf der Stelle, ohne Übergangszeit. Es war keine Erinnerung, verstehst Du das? Ich bin dort, mit Handschellen gefesselt und hilflos, sehe die Schatten über sein Gesicht flimmern und höre mich sagen, dass er mir Angst macht. Und dann bückt er sich, um den Korb zu holen, ohne den Blick der fiebrigen Augen je von meinem Gesicht zu nehmen, und ich sehe ihn – ich sehe es -, wie er mit seiner missgestalten, ungeschlachten Hand hineingreift, sehe die Hand Knochen und Juwelen umrühren und höre das Geräusch, das sie erzeugen, wie schmutzige Kastagnetten.
    Und weißt Du, was mich am allermeisten verfolgt? Ich habe gedacht, er wäre mein Vater, mein Daddy, der von den Toten zurückgekommen ist, um zu machen, was er schon früher machen wollte.
    »Also gut, mach schon«, habe ich zu ihm gesagt. »Mach schon, versprich mir nur, dass du mich hinterher losmachst. Dass du mich befreist und gehen lässt.«
    Ich glaube, das hätte ich auch gesagt, wenn ich gewusst hätte, wer er wirklich war, Ruth. Glaube? Ich weiß, dass ich dasselbe gesagt hätte. Begreifst Du das? Ich hätte zugelassen, dass er seinen Schwanz – den

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