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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Nichtkönnen. Ich war fast eingeschlafen, als der böse Hund hereingekommen ist, und das möchte ich jetzt wieder – einschlafen.
    Sie fühlte aus ganzem Herzen mit ihr. Das Problem war, Jessie war eigentlich gar nicht mehr schläfrig. Sie hatte gerade gesehen, wie ein Hund ein Stück aus ihrem Mann gerissen hatte, und sie war nicht mehr schläfrig.
    Sie war durstig.
    Jessie schlug die Augen auf und erblickte als Erstes Gerald, der wie ein groteskes menschliches Atoll auf seinem eigenen Spiegelbild auf dem polierten Schlafzimmerboden lag. Er hatte die Augen immer noch offen und starrte immer noch verbissen zur Decke, aber die Brille hing jetzt schief, und einer der Bügel war in seinem Ohr statt darüber. Den Kopf hatte er so extrem angewinkelt, dass die pummelige linke Wange fast die linke Schulter berührte. Zwischen der rechten Schulter und dem rechten Ellbogen befand sich nur ein dunkelrotes Lächeln mit unregelmäßigen weißen Rändern.
    »Lieber Gott«, murmelte Jessie. Sie sah rasch weg, zum Westfenster hinaus. Goldenes Licht – inzwischen fast das Licht des Sonnenuntergangs – blendete sie, und sie schloss die Augen wieder und beobachtete Ebbe und Flut von Rot und Schwarz, während ihr Herz das Blut in den Membranen durch die geschlossenen Lider pumpte. Nach einigen Augenblicken fiel ihr auf, dass sich dieselben Muster immer wiederholten. Es war fast, als würde man Einzeller unter einem Mikroskop betrachten, Einzeller auf einem Objektträger mit einem roten Fleck. Sie fand das immer wiederkehrende Muster interessant und beruhigend zugleich. Sie vermutete, dass man kein Genie sein musste, um die Faszination zu begreifen, die einfache wiederkehrende Muster unter den gegebenen Umständen hatten. Wenn die gewöhnlichen Muster und Routineverrichtungen des Lebens auseinanderfielen – und noch dazu so erschreckend plötzlich -, musste man etwas finden, woran man sich klammern könnte, etwas, was geistig normal und vorhersehbar war. Wenn man nur das organisierte Wirbeln des Blutes in den dünnen Hautschichten zwischen den Augäpfeln und dem letzten Sonnenlicht eines Oktobertages finden konnte, dann nahm man es und sagte recht schönen Dank auch. Wenn man nämlich nicht etwas fand, woran man sich klammern konnte, etwas, was zumindest ein bisschen Sinn ergab, konnte es sein, dass einen die fremden Elemente der neuen Weltordnung wahnsinnig machten.
    Zum Beispiel Elemente wie die Geräusche, die gerade aus der Diele erklangen. Die Geräusche, die von einem dreckigen streunenden Köter stammten, der einen Teil des Mannes fraß, der dich in den ersten Bergman-Film mitgenommen hatte, des Mannes, der dich in den Jahrmarkt am Old Orchard Beach geführt und an Bord des Wikingerschiffs gelockt hatte, das wie ein Pendel in der Luft hin- und herschwang, und dann Tränen lachte, als du sagtest, du wolltest noch einmal fahren. Des Mannes, der einmal in der Badewanne mit dir geschlafen hat, bis du vor Lust buchstäblich geschrien hast. Des Mannes, der jetzt stückweise im Schlund des Hundes verschwand.
    Solche fremden Elemente.
    »Seltsame Zeiten, meine Schöne«, sagte sie. »Wirklich seltsame Zeiten.« Ihre Sprechstimme war ein staubiges, schmerzhaftes Krächzen geworden. Sie vermutete, sie wäre gut beraten, wenn sie einfach schweigen und ihr Ruhe gönnen würde, aber wenn es im Schlafzimmer still war, konnte sie die Panik hören, die immer noch da war, die immer noch auf ihren großen, lautlosen Pfoten herumschlich, nach einer Öffnung suchte und darauf wartete, dass sie, Jessie, unachtsam wurde. Außerdem war es gar nicht richtig still. Der Typ mit der Motorsäge hatte für heute Feierabend gemacht, aber der Eistaucher stieß immer noch ab und zu einen Schrei aus, und mit dem Sonnenuntergang nahm der Wind zu und schlug die Tür lauter – und häufiger – denn je.
    Und dazu, natürlich, die Geräusche des Hundes, der sich an ihrem Mann gütlich tat. Während Gerald gewartet hatte, bis er die Sandwiches bei Amato’s mitnehmen und bezahlen konnte, war Jessie nach nebenan in Michaud’s Market gegangen. Michaud’s hatten immer guten Fisch – so frisch, dass er fast noch zappelte, hatte ihre Großmutter immer gesagt. Sie hatte ein schönes Stück Seezungenfilet gekauft und gedacht, sie würde es in der Pfanne braten, sollten sie beschließen, über Nacht zu bleiben. Seezunge war gut, weil Gerald, der sich, wenn auf sich allein gestellt, ausschließlich von Roastbeef und Brathähnchen ernähren würde (und dazwischen aus

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