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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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um, das mach ich, ich schwöre es, ALSO HAU AB!«
    Der Hund, der einmal Catherine Sutlins Prinz gewesen war, sah vom Frauchen zum Fleisch; vom Fleisch zum Frauchen; wieder vom Frauchen zum Fleisch. Er kam zu einer Entscheidung, die Charles Sutlin selbst als Kompromiss bezeichnet haben würde. Er beugte sich vornüber, verdrehte gleichzeitig die Augen, damit er Jessie genau beobachten konnte, und packte den abgerissenen Fetzen Sehnen, Fett und Knorpel, der einmal Gerald Burlingames rechter Bizeps gewesen war. Er zerrte ihn knurrend rückwärts. Geralds Arm schoss in die Höhe; die schlaffen Finger schienen durch das Ostfenster auf den Mercedes in der Einfahrt zu deuten.
    »Hör auf!«, kreischte Jessie. Ihre verletzte Stimme kippte immer öfter in die oberen Register, wo Schreie zu kreischendem Falsettflüstern wurden. »Hast du nicht schon genug angerichtet? Lass ihn einfach in Ruhe!«
    Der Streuner beachtete sie gar nicht. Er schüttelte rasch den Kopf von einer Seite auf die andere, was er häufig gemacht hatte, wenn er und Catherine Sutlin Tauziehen mit einem seiner Gummispielsachen gespielt hatten. Aber dies war kein Spiel. Schaumflocken flogen dem Streuner von den Lefzen, während er angestrengt bemüht war, das Fleisch vom Knochen zu reißen. Geralds sorgfältig manikürte Hand fuchtelte wild in der Luft hin und her. Er sah aus wie ein Dirigent, der seine Musiker zu mehr Tempo anfeuerte.
    Jessie hörte das verschleimte Räuspern wieder und merkte plötzlich, dass sie sich übergeben musste.
    Nein, Jessie! Das war Ruths Stimme, die aufgeschreckt klang. Nein, das darfst du nicht! Der Geruch könnte ihn anlocken … zu dir!
    Jessie verzog das Gesicht zu einer gequälten Grimasse, während sie sich bemühte, das Erbrochene wieder hinunterzuschlucken. Das reißende Geräusch ertönte erneut, und sie erhaschte einen Blick auf den Hund – der die Vorderpfoten wieder steif festgestemmt hatte und am Ende eines dunklen Elastikbands von der Farbe eines Einmachgummis zu stehen schien -, bevor sie die Augen zumachte. Sie versuchte, die Hände vors Gesicht zu schlagen, und vergaß in ihrem Stress vorübergehend, dass sie Handschellen trug. Ihre Hände wurden in einem Abstand von noch mindestens sechzig Zentimetern ruckartig festgehalten, die Ketten der Handschellen klirrten. Jessie stöhnte. Es war ein Geräusch, das Niedergeschlagenheit hinter sich ließ und zu Verzweiflung wurde. Es hörte sich an, als würde sie aufgeben.
    Sie hörte das nasse, rotzige Reißen wieder. Es endete mit einem weiteren feuchten, glücklichen Schmatz. Jessie schlug die Augen nicht auf.
    Der Streuner wich zur Flurtür zurück, ohne das Frauchen auf dem Bett aus den Augen zu lassen. Im Maul trug er ein großes, glänzendes Stück von Gerald Burlingame. Wenn das Frauchen auf dem Bett versuchen wollte, es zurückzuholen, würde sie jetzt handeln. Der Hund konnte nicht denken – jedenfalls nicht im menschlichen Sinne -, aber sein komplexes Netz von Instinkten lieferte eine ausgesprochen wirksame Alternative zum Denken, und er wusste, was er getan hatte – und noch tun würde -, kam einer Art Verdammnis gleich. Aber er hatte schon lange Zeit Hunger. Er war von einem Mann, der auf dem Nachhauseweg die Titelmelodie von Born Free gepfiffen hatte, im Wald ausgesetzt worden, und nun war er am Verhungern. Wenn das Frauchen jetzt versuchen wollte, ihm die Mahlzeit wegzunehmen, würde er darum kämpfen.
    Er sah sie ein letztes Mal an, stellte fest, dass sie keine Anstalten traf, sich vom Bett zu erheben, und drehte sich um. Er trug das Fleisch in die Diele, legte sich hin und hielt es zwischen den Pfoten fest. Der Wind brauste kurz auf, riss die Tür erst auf und schlug sie dann wieder zu. Der Streuner sah rasch in diese Richtung und vergewisserte sich auf seine nicht ganz denkende Hundeart, dass er die Tür mit der Schnauze aufstoßen und rasch fliehen konnte, sollte es erforderlich werden. Nachdem diese letzte Aufgabe erledigt war, fing er an zu fressen.

9
     
     
     
    Der Drang, sich zu übergeben, verging langsam, aber er verging. Jessie lag auf dem Rücken, hatte die Augen fest zugekniffen und spürte allmählich das schmerzhafte Pochen in den Schultern. Es kam in langsamen, peristaltischen Wellen, und sie hatte das ungute Gefühl, dass das erst der Anfang war.
    Ich möchte schlafen , dachte sie. Es war wieder die Kinderstimme. Jetzt hörte sie sich betroffen und ängstlich an. Sie interessierte sich nicht für Logik, Geduld, Können oder

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