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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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gesundheitlichen Erwägungen ab und zu frittierte Champignons), tatsächlich behauptete, dass ihm Seezunge schmeckte. Sie hatte sie ohne die geringste Ahnung gekauft, dass Gerald gegessen werden würde, bevor er sie, die Seezunge, essen konnte.
    »Da draußen ist ein Dschungel, Baby«, sagte Jessie mit ihrer krächzenden, staubigen Stimme und überlegte sich, dass sie inzwischen nicht mehr nur in Ruth Nearys Stimme dachte; sie hörte sich tatsächlich schon wie Ruth an, die damals von nichts anderem als Dewar’s und Marlboros gelebt hätte, wäre sie auf sich allein gestellt gewesen.
    Da meldete sich die harte Ohne-Scheiß-Stimme zu Wort, als hätte Jessie an einer Wunderlampe gerieben. Erinnerst du dich noch an den Song von Nick Lowe, den du auf WBLM gehört hast, als du eines Tages letzten Winter von deinem Töpferkurs nach Hause gekommen bist? Wegen dem du lachen musstest?
    Sie erinnerte sich. Sie wollte es nicht, aber sie erinnerte sich. Es war ein Stück von Nick Lowe mit dem Titel »She Used to Be a Winner (Now She’s Just the Doggy’s Dinner)« gewesen, eine auf zynische Weise amüsante Pop-Meditation über Einsamkeit zu einem völlig unpassenden heiteren Beat. Letzten Winter urkomisch, ja, da hatte Ruth Recht, aber jetzt nicht mehr.
    »Hör auf, Ruth«, krächzte sie. »Wenn du schon freien Zugang zu meinem Kopf hast, dann hab wenigstens so viel Anstand und mach dich nicht über mich lustig.«
    Lustig machen? Herrgott, Süße, ich mache mich nicht über dich lustig; ich versuche nur, dich zu wecken!
    »Ich bin wach!«, sagte sie quengelig. Über dem See schrie der Eistaucher wieder, als wollte er sie damit unterstützen. »Was teilweise dir zu verdanken ist!«
    Nein, das bist du nicht. Du bist schon lange nicht mehr wach - wirklich wach. Weißt du, was du machst, wenn etwas Schlimmes passiert, Jess? Du sagst dir: »Oh, kein Grund zur Beunruhigung, das ist nur ein böser Traum. Die bekomme ich ab und zu, sie sind nicht weiter schlimm, und sobald ich mich wieder auf den Rücken drehe, wird alles gut.« Und das machst du, du arme Närrin. Genau das machst du.
    Jessie machte den Mund auf, um zu antworten – derlei Anmaßungen sollten nicht unbeantwortet bleiben, trockener Mund und wunder Hals hin oder her -, aber Goodwife Burlingame erklomm das Rednerpult, noch ehe Jessie auch nur ihre Gedanken ordnen konnte.
    Wie kannst du so etwas Schreckliches sagen? Du bist furchtbar! Geh weg!
    Ruths Ohne-Scheiß-Stimme stieß wieder ihr zynisches, bellendes Gelächter aus, und Jessie dachte, wie beunruhigend – wie grässlich beunruhigend – es doch war, einen Teil des eigenen Verstandes mit der eingebildeten Stimme einer alten Bekannten lachen zu hören, die längst Gott weiß wohin gegangen war.
    Weggehen? Das würde dir so passen, was? Juppheidi und juppheida, Daddys kleiner Liebling. Jedes Mal wenn die Wahrheit zu nahe kommt, jedes Mal wenn du denkst, dass der Traum vielleicht doch kein Traum ist, läufst du weg.
    Das ist lächerlich.
    Wirklich? Und was ist mit Nora Callighan passiert?
    Das schockierte Goodys Stimme einen Augenblick – wie ihre eigene, die normalerweise in ihrem Geist und auch sonst mit »ich« sprach -, und sie schwieg, aber in diesem Schweigen formte sich ein seltsames, vertrautes Bild: ein Kreis lachender, deutender Menschen – hauptsächlich Frauen -, die um ein junges Mädchen herumstanden, das Kopf und Hände im Pranger hatte. Sie war kaum zu sehen, weil es ziemlich dunkel war – eigentlich hätte noch Tageslicht herrschen sollen, doch aus unerfindlichen Gründen war es sehr dunkel -, aber das Gesicht des Mädchens wäre auch im hellen Tageslicht nicht zu sehen gewesen. Das Haar hing ihr ins Gesicht wie ein Bußschleier, obwohl man sich kaum vorstellen konnte, dass sie etwas wirklich Schlimmes gemacht hatte; sie war mindestens acht, höchstens aber zwölf Jahre alt. Wofür sie auch immer bestraft wurde, bestimmt nicht deshalb, weil sie ihrem Ehemann wehgetan hatte. Diese spezielle Tochter Evas war zu jung für die Monatsblutung, geschweige denn für einen Ehemann.
    Nein, das stimmt nicht, meldete sich plötzlich eine Stimme aus den tieferen Schichten ihres Verstands zu Wort. Diese Stimme klang singend und dennoch erschreckend kraftvoll, wie der Schrei eines Wals. Sie hatte schon mit zehneinhalb angefangen. Vielleicht war das das Problem. Vielleicht hat er das Blut gerochen wie der Hund in der Diele. Vielleicht hat ihm das den Kopf verdreht.
    Sei still!, rief Jessie. Sie wurde selbst fast

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