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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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dieser Blick.
    Jessie musste an das letzte Mal denken, an dem sie den Blick deutlich vorgeführt bekommen hatte. Im August war Gerald mit einem Hochglanzprospekt zu ihr gekommen, hatte ihr gezeigt, was er wollte, und sie hatte Ja gesagt, selbstverständlich konnte er einen Porsche kaufen, wenn er einen Porsche wollte, leisten konnten sie sich einen Porsche auf jeden Fall, aber es wäre besser, wenn er Mitglied im Forest Avenue Health Club wurde, was er seit zwei Jahren versprach. »Im Augenblick hast du nicht gerade eine Porsche-Figur«, hatte sie gesagt und gewusst, sie war nicht eben diplomatisch, aber sie hatte den Eindruck gehabt, als wäre nicht der richtige Zeitpunkt für Diplomatie gewesen. Außerdem hatte er ihr so den Nerv getötet, dass sie nicht unbedingt Rücksicht auf seine Gefühle nehmen wollte. In letzter Zeit passierte ihr das immer öfter, und es missfiel ihr, aber sie wusste nicht, was sie dagegen machen sollte.
    »Was soll das nun wieder heißen?«, hatte er gekränkt gefragt. Gewöhnlich machte sie sich nicht die Mühe zu antworten; sie hatte gelernt, wenn Gerald solche Fragen stellte, waren sie fast immer rhetorisch. Die wichtige Botschaft lag im einfachen Subtext: Du machst mich wütend, Jessie. Du spielst das Spiel nicht mit.
    Aber bei dieser Gelegenheit hatte sie – vielleicht als unbewusste Vorbereitung auf die jetzige – den Entschluss gefasst, nicht auf den Subtext zu achten, sondern die Frage zu beantworten.
    »Es heißt, dass du diesen Winter sechsundvierzig wirst, ob du nun einen Porsche hast oder nicht, Gerald … und du hast trotzdem dreißig Pfund Übergewicht.« Gemein, ja, aber sie hätte auch regelrecht grausam sein können; sie hätte ihm das Bild schildern können, das ihr durch den Kopf schoss, als sie das Foto des Sportwagens in dem Hochglanzprospekt betrachtete, den Gerald ihr gegeben hatte. In diesem kurzen Augenblick hatte sie ein pummeliges Kind mit rosa Gesicht und spitzem Haaransatz gesehen, das in dem Reifen stecken blieb, den es ins Bad mitgebracht hatte.
    Gerald hatte ihr den Prospekt aus der Hand gerissen und war ohne ein weiteres Wort davongestapft. Das Thema Porsche war seitdem nicht mehr angeschnitten worden … aber sie hatte es häufig in seinem missfälligen Das-freut-uns-aber-garnicht-Blick gesehen.
    Momentan sah sie eine noch heißere Version dieses Blicks.
    »Du hast gesagt, es hört sich aufregend an. Das waren genau deine Worte: ›Es hört sich aufregend an.‹«
    Hatte sie das gesagt? Sie nahm es an. Aber es war ein Fehler gewesen. Ein kleiner Witz, mehr nicht, ein kleiner Ausrutscher auf der alten Bananenschale des Lebens. Klar. Aber wie brachte man das seinem Mann bei, wenn der die Unterlippe hängen ließ wie Baby Herman, bevor es einen Anfall bekommt?
    Sie wusste es nicht, daher senkte sie den Blick … und sah etwas, was ihr ganz und gar nicht gefiel. Geralds Version von Mr. Freudenspender war keinen Millimeter geschrumpft. Offenbar hatte Mr. Freudenspender nichts von der Änderung der Pläne mitbekommen.
    »Gerald, mir ist …«
    »… einfach nicht danach? Schöne Nachrichten, was? Ich habe mir den ganzen Tag freigenommen. Und wenn wir die Nacht hier verbringen, heißt das auch noch morgen Vormittag.« Er grübelte einen Moment düster darüber nach, dann wiederholte er: »Du hast gesagt, es hört sich aufregend an.«
    Sie fächerte ihre Ausreden auf wie ein lahmes altes Pokerblatt. (Ja, aber ich habe Kopfschmerzen; ja, aber ich habe echt schlimme Menstruationskrämpfe; ja, aber ich bin eine Frau und habe darum das Recht, meine Meinung zu ändern; ja, aber jetzt, wo wir tatsächlich hier draußen in der weiten Einsamkeit sind, machst du mir Angst, du großer starker Bär von einem Mann, du). Die Art von Lügen also, die entweder seinen Irrglauben oder sein Ego (die beiden waren gelegentlich austauschbar) bestärkten. Doch bevor sie noch eine Karte ziehen konnte, irgendeine, meldete sich die neue Stimme wieder zu Wort. Es war das erste Mal, dass sie laut sprach, und Jessie stellte fasziniert fest, dass sie sich in der Atmosphäre ebenso anhörte wie in ihrem Kopf: kräftig, trocken, entschlussfreudig und beherrscht.
    Außerdem hörte sie sich seltsam vertraut an.
    »Du hast Recht – ich glaube, ich habe es gesagt, aber was sich wirklich aufregend anhörte, war der Gedanke, einmal mit dir wegzufahren wie früher, bevor dein Name mit denen der anderen Bosse auf dem Firmenschild stand. Ich dachte mir, vielleicht könnten wir ein bisschen

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