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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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Sie hatte sich als Chefredakteurin des Grace Journals entpuppt.
    Angela hatte Julia einem Kreuzverhör unterzogen und ihre journalistischen Fähigkeiten und Vorkenntnisse unter die Lupe genommen, während sie Benjamin sofort abblitzen ließ.
    Es war das erste Mal, dass der Mitbewohner ihres Bruders keine blöden Scherze mehr machte. Ganz im Gegenteil, er sah furchtbar wütend aus, als er unverrichteter Dinge aus den Redaktionsräumen stürmte.
    Julias Gespräch mit Angela dagegen dauerte über eine Viertelstunde, sodass sie fast zu spät zum Essen in die Mensa kam.
    Und erst da wurde ihr bewusst, dass sie den ganzen Tag über kein einziges Mal daran gedacht hatte, wie sie hier wegkommen konnte. Ganz im Gegenteil. Sie hatte sich gefühlt, als ob sie tatsächlich länger hier am Grace bleiben würde – ohne dabei die altbekannte Panik zu spüren. Vielleicht war die immense Fülle an Lehrstoff, die es zu bewältigen gab, nicht nur eine lästige Pflicht, sondern auch so etwas wie ihre Rettung. Denn konnte das hier nicht doch ein Weg sein, ihre Angst in den Griff zu bekommen? Das neue Leben anzufangen, das sie sich so dringend wünschte?
    Julia sah auf die Uhr und hob die hellblaue Bluse aus hundertprozentiger Biobaumwolle vom Boden auf, die sie am Flughafen in Seattle gekauft hatte. Sie hielt sie sich an und starrte in den Spiegel.
    Irgendwie hatte sie sich verändert. Ihre hellbraunen Augen, die laut Kristian der Maserung einer Schlange ähnelten, wirkten in ihrem blassen Gesicht riesig, und selbst ihre Beine – in den Charts ihrer körperlichen Minuspunkte ganz oben – wirkten nicht mehr zu kurz, sondern lang und schmal. Verblüfft drehte sie sich vor dem Spiegel. He, dachte sie, ich habe ja abgenommen! Mindestens zwei bis drei Kilo.
    Plötzlich musste sie grinsen. So ein neues Leben konnte auch seine Vorteile haben.
    Noch gestern Abend hatte sie sich geschworen, sie würde nur aus einem einzigen Grund auf diese Party gehen, nämlich um herauszufinden, wer dieser mysteriöse Loa.loa war. Aber hey, vielleicht war diese Party ja tatsächlich der Anfang von all den ultimativen Collegeabenteuern, von denen Debbie ständig quatschte? Und überhaupt, hatte nicht jeder von den Freshmen diese Einladung bekommen? Wer auch immer sich hinter Loa.loa verbarg, vermutlich gab es eine harmlose Erklärung.
    Sie betrachtete noch einmal die Bluse. Nein, das ging gar nicht. Was zu viel war, war zu viel. Bluse! Hellblau! Biobaumwolle!
    Wie hatte sie so etwas nur kaufen können? Früher hätte sie das Teil nicht mit der Kneifzange angefasst! Sie knüllte das Kleidungsstück zusammen und warf es zurück in den Schrank. Sie musste sich beeilen. Debbie hatte mit den Jungs im Apartment unter ihnen verabredet, gemeinsam zum Bootshaus zu gehen. Julia hatte keine Ahnung, wo genau es sich befand. Auf den Bildschirmen im Foyer, auf denen man Zugang zu allen Informationen über das Grace hatte, war es jedenfalls nicht zu finden gewesen und beim Joggen hatte sie es auch nicht entdeckt. Aber niemand von den anderen schien sich darüber Sorgen zu machen, und sie ging daher davon aus, dass irgendjemand den Weg kannte.
    Entschlossen griff Julia nach den neuen Jeans und einem roten Top mit Glitzerpailletten und streifte es über. Dann stopfte sie einen schwarzen Pullover für später in ihre Umhängetasche, schlüpfte in ihre Converse, löste ihren Pferdeschwanz und fuhr sich ein paarmal mit der Bürste durch die Haare. Fertig.
    »Du bist ja noch gar nicht geschminkt!«, hörte sie fast in demselben Moment eine entrüstete Stimme hinter sich.
    Debbie stand in der Tür und hinter ihr erschien eine Sekunde später Rose’ kahl geschorener Kopf.
    »Ich habe keine Lust, ständig drauf zu achten, ob der Kajal verschmiert ist, Lippenstift zwischen den Zähnen hängt oder Wimperntusche über das Gesicht rieselt, als regne es Asche.«
    »Willst du nicht wenigstens Lipgloss benutzen?« Debbie zog eine Tube aus dem weißen Handtäschchen, das sich um Hals und Schultern schlang wie ein Hundegeschirr, und starrte Julia an. »Oder doch Wimperntusche? Mann, wenn ich deine Augen hätte …«
    Julia betrachtete Debbie voller Skepsis. Offenbar hatte sie ihre seltsamen Haare in Lockenwickler gedreht, sodass die Frisur doppelt so groß wirkte im Vergleich zu ihrem runden Gesicht. Und sie trug ein fast fleischfarbenes, eng anliegendes Kleid, das ihre kleinen Fettpölsterchen nur noch betonte. Julia konnte gar nicht hinsehen.
    »Ich besitze so etwas nicht«, antwortete

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