Das Spiel
gestolpert ist«, erwiderte Chris spöttisch.
»Sie muss ja nicht tot sein.«
»Aber dein Verdienst wäre größer, wenn sie es ist.«
Julia sah zu Robert hinüber und bedeutete ihm, etwas zurückzubleiben. Ihr Bruder blickte sie fragend an. »Bist du dir immer noch sicher, dass du das hier durchziehen willst?«, flüsterte sie ihm zu.
Robert nickte. Er sah ernst und blass aus, aber gefasst. »Ich werde mich nicht noch einmal vor den Dekan stellen und mich als Lügner bezeichnen lassen«, sagte er leise. »Ich habe die Sache mit dem Spiel herausbekommen – jetzt will ich auch wissen, woran wir mit Angela sind.«
Robert war es gewesen, der die anderen überzeugt hatte, Angela auf eigene Faust zu suchen. Katie, Chris, Benjamin und David waren sofort bereit gewesen mitzukommen. »Robert hat es verdient, dass wir es so machen, wie er es vorschlägt«, sagte Katie knapp. Und die anderen hatten genickt.
Nur Debbie hatte gezögert, doch dann hatte sie sich anders entschieden. Offensichtlich hatte sie Angst, dass sie etwas verpasste, wenn sie nicht mitkam.
Ganz zum Schluss, als die Gruppe schon fast unterwegs war, hatte sich ihnen noch Alex angeschlossen. Chris und David hatten protestiert, aber der ältere Student hatte sich nicht davon abhalten lassen, und schließlich hatten die anderen akzeptiert, auch wenn sie ihn mit Missachtung straften.
Was die Seniors sich gestern geleistet hatten, konnte Julia noch immer nicht fassen, wie wohl keiner aus ihrer Gruppe, ausgenommen vielleicht Debbie, die Alex noch immer mit hungrigen Augen betrachtete.
»Robert – kommst du?«, rief David. Er ging an der Spitze. »Ich glaube, ab jetzt solltest du vorauslaufen. Dann kannst du uns die Stelle zeigen, wo Ike ungefähr herkam.« Robert nickte, warf Julia noch einmal einen Blick zu und drängte sich dann an den anderen vorbei, die nebeneinander auf dem holprigen Hochuferpfad gingen.
»Sag mal, Julia.« Chris gesellte sich zu ihr. Misstrauisch sah er zu Alex hinüber. »Was hältst du von der Geschichte? Meinst du, Alex und Isabel erzählen gequirlte Scheiße oder wissen die tatsächlich nicht, wo Angela ist?«
»Keine Ahnung«, antwortete Julia und überlegte einige Sekunden lang. »Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Ich bin einfach nur wütend. Denkst du wirklich …« Dann fiel ihr wieder ein, dass Chris Dinge wusste, von denen sie keine Ahnung hatte.
»Na ja, aber überleg doch mal! Robert hat gesagt, Ike hätte das Armband kurz nach der Brücke gefunden. Angela hätte in ihrem Rollstuhl eigentlich gar nicht weit kommen können, oder? Schau dich doch hier um!«
Julia wusste, was er meinte. Der Pfad war vielleicht breit genug für einen Rollstuhl – aber allein wäre Angela nie hier hochgekommen. Dafür war der Pfad, der sich an den asphaltierten Weg anschloss und zum Hochufer führte, einfach zu steil. Mal ganz abgesehen von den vielen Wurzeln und Steinen.
»Wir können ja eine Wette abschließen«, rief Benjamin von vom. »Fünfzig Dollar, dass sie tot ist.«
»Hey Mann, wie krank bist du denn? Du wettest um das Leben eines Menschen?« Rose’ Stimme klang über den See.
»Warum nicht?«, fragte Benjamin. »Gelten hier oben in der Einsamkeit denn noch die üblichen Regeln von wegen Moral und Menschlichkeit? Ich halte das ganze Gerede darüber sowieso für verlogen.«
»Einsam?«, wunderte sich Debbie. »Im Tal wohnen an die vierhundert Studenten und Lehrer. Wir sind doch nicht alleine hier.«
»Ja, das ist leider ein echtes Problem«, flüsterte Chris. Er sah Julia von der Seite an, und zum ersten Mal fiel ihr auf, dass seine Augen nicht einfach nur grau waren, sondern Farbe und Schattierung wechselten. Vielleicht machte das den Ausdruck in ihnen so irritierend. »Ich würde viel darum geben, mit dir allein zu sein.«
Julia schnappte nach Luft. Hatte Chris das eben wirklich gesagt oder hatte sie sich das eingebildet? Doch – es war sein Mund gewesen, aus dem die Worte gekommen waren, ganz bestimmt. Aber die Worte selbst – sie gehörten zu Kristian. Er hatte es am Tag vor jener Samstagnacht gesagt.
Ich würde viel darum geben, mit dir allein zu sein.
Dann hatte er sie geküsst und sie hatte genickt.
Julia schloss die Augen.
»Was hast du, Julia?« Chris’ Stimme war plötzlich ganz nah. Er klang besorgt aus. »Du bist ja ganz blass.«
Sie blieb stehen.
Chris legte ganz kurz seine Hand auf ihre Schulter. »Ich kann dich nicht in Ruhe lassen.« Seine Stimme war noch heiserer als sonst. »Denn ich
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