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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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seltsam, ihn hier in ihrem Wohnzimmer zu sehen. Chert wusste, dass Chaven für einen Großwüchsigen nicht besonders groß war, aber in dieser Umgebung ragte er auf wie ein Berg. »Ihr braucht mich nicht ›Doktor‹ zu nennen, gute Frau Blauquarz.«
    »Opalia! Nennt mich Opalia.«
    »Gut. Dann aber auch Chaven.« Er lächelte kurz. »Nun denn, das Buch des Ximander besagt, dass das Spiegel-Lesen das dritte große Geschenk ist, weil es den Menschen erlaubt, einen Blick in jene anderen Welten zu werfen, die sich in so engem Verbund mit der unseren bewegen wie unser Schatten mit uns selbst. So wie ein gewöhnlicher Spiegel das Bild dessen zurückwirft, was vor ihm ist, so kann auch ein besonderer Spiegel hergestellt und eingesetzt werden, der Bilder von ... anderen Orten zeigt.« Er hielt inne, als ob er sich ganz genau überlegte, wie er fortfahren wollte. Opalia brach das Schweigen.
    »Es muss ein ... besonderer Spiegel sein?«
    »In den meisten Fällen und für die meisten Formen von Spiegel-Lesen schon.« Chaven sah sie überrascht an. »Ihr habt schon davon gehört?«
    »Nein, nein.« Opalia schüttelte den Kopf. »Sprecht bitte weiter. Nein, wartet. Lasst mich kurz nach dem Jungen sehen.« Sie stand auf und ging hinaus. Chert und Chaven tranken ihren Tee. Der Blauwurz hatte etwas geholfen: Chert fühlte sich nicht mehr so, als ob er jeden Moment umfallen könnte.
    Opalia kam wieder herein, und Chaven holte tief Luft, »Ich will Euch, wie gesagt, nicht mit zu viel Spiegelkunde langweilen, da das eine komplizierte Materie voller strittiger Fragen ist — allein schon die wichtigsten Meinungsverschiedenheiten zwischen den Phelsasianern und dem Kaptrosophischen Orden in Tessis verstehen zu wollen, würde Jahre dauern. Und natürlich hält der Trigonatsklerus diese ganze Wissenschaft für blasphemisch. In den schlimmsten Zeiten wurden Menschen wegen des Besitzes von Spiegeln verbrannt.« Bei diesen Worten zitterte seine Stimme ein wenig. »Vielleicht weiß ich ja jetzt warum.«
    »Was hat Euch Euer Freund — Euer ehemaliger Freund, nehme ich an — denn nun angetan?«, fragte Chert. »Ihr sagtet, er habe Euch etwas gestohlen. War es ein Spiegel?«
    »Ach, Ihr wisst schon, worauf ich hinauswill«, sagte Chaven fast schon dankbar. »Ja, es war ein sehr mächtiger, sehr alter Spiegel. Einer, von dem ich annehme, dass er in alten Zeiten eigens dafür hergestellt wurde, Blicke in andere Welten und sogar Gespräche zwischen Welten zu ermöglichen.«
    »Wo hattet Ihr ihn denn her?«
    Chavens Gesichtsausdruck war jetzt eine intensive Mischung aus Scham und einer Art verstohlener Gier. »Ich ... ich weiß nicht. Da, ich habe es gesagt.
Ich weiß es nicht.
Ich bin viel gereist, und ich vermute, dass ich ihn von einer meiner Reisen mitgebracht habe, aber, die Götter sind meine Zeugen, ich weiß es einfach nicht mehr genau.«
    »Aber wenn er ein so mächtiges Ding ist ...«, begann Chert.
    »Ich weiß! Haltet es mir nicht vor. Ich sagte doch schon, dass ich mich schäme. Ich weiß nicht, wie er zu mir kam, aber er war da, und ich habe ihn benutzt. Und ich habe ... ausgegriffen und ... und etwas auf der anderen Seite
berührt.«
    Es waren nicht nur die Worte des Hofarztes, sondern auch sein gequälter Gesichtsausdruck — Chert sträubten sich die Nackenhaare. Er glaubte schon fast, eine Bewegung im Zimmer zu spüren, als ob die Flammen der beiden Lampen in einem nicht fühlbaren Wind tanzten und flackerten.
    »Etwas berührt ...?«, fragte Opalia, und ihr Interesse von eben schien sich in Angst und Abscheu aufgelöst zu haben.
    »Ja, aber was es war ... was es ist ... kann ich nicht sagen. Es ist ...« Er schüttelte den Kopf und schien den Tränen nahe, »Nein. Es gibt Dinge, über die ich nicht sprechen kann. Es ist etwas unbeschreiblich Schönes und unbeschreiblich Schreckliches, und es ist ganz allein mein — meine Entdeckung!« Seine Stimme war jetzt schroff, und er schien sich in sich zurückzuziehen, als ob er sich darauf vorbereitete, zuzuschlagen oder zu fliehen. »Ihr könnt das nicht verstehen.«
    »Aber was nützt dieses Ding Okros — oder Hendon Tolly?« Chert hatte den Eindruck, dass sie den Stollen wohl etwas zu weit von der Gesteinsader weg getrieben hatten.
    »Ich
weiß
es nicht«, sagte Chaven unglücklich. »Ich weiß noch nicht einmal selbst, was es ist! Aber ich ... habe es geweckt. Und es hat große Macht. Jedes Mal, wenn ich es berührte, fühlte ich Dinge, die noch nie ein Mensch zuvor gefühlt haben

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