Das Spiel
für mich riskiert. Ach, ich bin so erbärmlich, so erbärmlich!«
Chert schnaubte. Allmählich riss ihm der Geduldsfaden. Als er gerade frustriert aufstehen und aus dem Hauptraum stapfen wollte, hob Chaven eine seiner verwundeten Hände.
»Frieden, mein Freund«, sagte er. »Ich werde versuchen, es Euch zu erklären, wenn ich auch glaube, dass Euch nicht mehr viel an mir liegen wird, wenn Ihr meine Geschichte erst einmal gehört habt. Aber das hätte ich nur verdient ...«
Chert setzte sich wieder hin und wechselte einen Blick mit Opalia. Sie beugte sich vor und goss dem Hofarzt Blauwurztee nach. »Also sprecht.« Trotz seiner Neugier hoffte Chert, dass es keine lange Geschichte würde. Er war schon fast die ganze Nacht auf und so müde, dass er kaum noch die Augen offen halten konnte.
»Ich habe ... ich hatte ... einen Gegenstand. Einen Spiegel. Ihr habt doch gehört, wie Okros von ›Kaptromantie‹ sprach — ein pompöses Wort, das Spiegel-Lesen bedeutet. Es ist eine Kunst, eine Kunst mit vielen Abgründen und verschlungenen Pfaden und einer langen, geheimnisvollen Geschichte.«
»Spiegel-Lesen?«, fragte Opalia. »Meint Ihr Wahrsagen?« Sie schenkte sich selbst Tee nach und beugte sich dann, die Ellbogen aufgestützt, aufmerksam vor.
»Mehr als das — weit mehr«, seufzte Chaven. »Es gibt da ein Buch. Ihr werdet wohl noch nie davon gehört haben, obwohl es in bestimmten Kreisen berühmt ist. Das Buch des Ximander wird es genannt, aber diejenigen, die es gesehen haben, behaupten, es sei nur Teil eines größeren Werkes, welches ›Das Buch der Trauer‹ heißt und vom Elbenvolk geschrieben wurde — den Qar, wie sie sich selbst nennen. Ximander war ein Mantis, ein Priester Kupilas' des Heilers in den alten Tagen des Hierosolinischen Reiches, und er soll die Schriften von einem heimatlosen Wanderer erhalten haben, der im Tempel starb.«
Chert rutschte ungeduldig auf seinem Stuhl herum. Dies mochte ja die Sorte Gesprächsgegenstand sein, die Chaven faszinierte, aber er verstand so gut wie nichts. »Ja? Und dieses Buch hat Euch das Spiegel-Lesen gelehrt?«
»Ich habe es nie zu Gesicht bekommen — es ist schon viele Jahre verschollen. Aber mein Meister, Kaspar Dyelos, hat in seiner Jugend entweder dieses Buch selbst oder eine Abschrift davon gesehen — er wollte es mir nie sagen —, und vieles von dem, was er mich lehrte, stammte aus diesem legendären Werk. Das Buch des Ximander erzählt, dass die Götter uns drei Geschenke gaben — Feuer,
Shouma
und Spiegel-Wissen ...«
»Shouma?
Was ist das?«
»Ein Getränk — manche nennen es den Nektar der Götter. Es führt zu Visionen, aber manchmal auch zu Wahnsinn oder gar zum Tod. Jahrhundertelang wurde es in den Tempeln und Palästen Eions bei bestimmten Zeremonien von jenen benutzt, die den Göttern näher sein wollten. So wie der Wein die Sterblichen trunken macht, macht
Shouma
die Götter selbst trunken. Es ist so stark, dass es inzwischen nicht mehr verwendet wird, oder zumindest mischen unsere heutigen Priester nur eine winzige Menge in ihren Zeremonialwein, und manche behaupten, dies sei nicht mehr das echte, kraftvolle
Shouma
von einst, und das Wissen, wie man es herstellt, sei verloren gegangen.
Früher starben viele junge Priester in der
Shouma-Ekstase
bei ihrer Weihe ...« Er unterbrach sich. »Verzeiht. Ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, diese Dinge zu studieren, und ich vergesse manchmal, dass andere sich nicht so sehr dafür interessieren wie ich.«
»Ihr wolltet gerade über Spiegel reden«, erinnerte ihn Opalia resolut. »Das war's, was Ihr sagtet. Spiegel.«
»Ja, natürlich. Und wenn meine Gedanken auch ziellos zu schweifen scheinen, beschäftigt mein Herz doch derzeit nichts so sehr wie dieses Thema. Das letzte der großen Geschenke der Götter — Spiegel-Wissen. Kaptromantie.
Ich will Euch die ganzen Spiegel-Überlieferungen ersparen. Gutenteils sind es einfach nur Volksmärchen, Geschichten, die den Eingeweihten helfen, sich der komplizierten Riten zu entsinnen — glaube ich zumindest. Aber unstrittig ist, dass man mit entsprechender Übung und Vorbereitung Spiegel nicht nur für die Widerspiegelung der davor befindlichen Dinge verwenden kann, sondern als Öffnung — auf jeden Fall als Fenster und nach Behauptung mancher auch als Türen — zu anderen Welten.«
Chert schüttelte den Kopf. »Was heißt das — andere Welten? Was für andere Welten?«
»In den alten Tagen«, erklärte der Hofarzt, »glaubten die
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