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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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du zwar deshalb vorsichtig, weil du frierst und einsam und hungrig bist, aber der Grundgedanke ist ganz richtig. Es ist nie gut, Götter zu beleidigen. Wenn uns in alten Zeiten ein Sterblicher beleidigte, und sei es noch so geringfügig, musste er damit rechnen, in einen Strauch oder eine Sandkrabbe verwandelt zu werden.« Die Alte seufzte und sah auf ihre runzligen Hände. »Ich weiß nicht, ob ich so etwas Beeindruckendes heute noch fertigbrächte, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dir zumindest deine Kopfschmerzen zurückgeben könnte und schlimme Magenschmerzen dazu.«
    »Ihr sagt, Ihr seid eine Göttin?« Das konnte nicht sein. Eine Waldhexe vielleicht, aber eine Göttin sah doch nie und nimmer so aus.
    »Nur eine Halbgöttin, wie ich bereits zugab, und bitte reib es mir nicht unter die Nase. Es gibt keine echten Göttinnen mehr. Jetzt sei nicht so dickschädlig.« Lisiya runzelte die Stirn. »Ich kann einiges von deinen Gedanken hören, und die sind gar nicht nett. Tja, ich tue das gar nicht gern, zumal, nachdem ich schon so viel Energie darauf verwandt habe, dich zu heilen — oh, was wird mein Kopf morgen schmerzen! —, aber ich fürchte, wir werden mit dem, was die Musik vorhat, nicht weiterkommen, wenn ich es
nicht
tue.« Die Greisin erhob sich nicht ohne Mühe und breitete die Arme aus wie ein unterernährter Raubvogel die Schwingen. »Vielleicht solltest du die Augen ein bisschen zusammenkneifen, Tochter.«
    Ehe Briony mehr tun konnte, als einmal Luft zu holen, stieg Rauch in ganz neuen Farben aus dem Feuer, und der Nachthimmel schien sich auf sie herabzuwölben wie ein Zeltdach, auf dem etwas Schweres gelandet war. Die Gestalt der Alten wuchs und streckte sich, und ihre Lumpen wurden durchscheinend wie Rauch, doch im Zentrum all dessen glommen Lisiyas Augen noch stärker, wie zwei Feuer hinter Vulkanglas.
    Briony duckte sich, zu Tode erschrocken. So hatte sich die Zofe Selia verwandelt, als sie zu einem grässlichen dunklen Etwas mit Klauen und rußschwarzen Stacheln geworden war, und einen Moment lang war sich Briony sicher, in eine schreckliche Falle geraten zu sein. Dann, als ein Lichtschein den Boden um sie herum vergoldete, sah sie auf und in ein Gesicht von so strahlender, heiterer Schönheit, dass all ihre Angst schwand.
    Sie war groß, die Göttin, einen Kopf größer noch als ein großer Mann, und ihr Gesicht und ihre Hände, das Einzige, was in dem schleierigen Dunkel ihrer Gewänder sichtbar war, schimmerten golden. Äste und Blattranken umgaben sie, und über ihrem Kopf wiegte sich eine silberne Blätterkrone in einem unsichtbaren Wind. Die schwarzen Augen waren das Einzige, das noch annähernd so war wie vorher, auch wenn jetzt eine Art Hexenlicht daraus leuchtete. Wie schrecklich wäre Zorn auf einem solchen Gesicht! Briony glaubte nicht, dass ihr Herz diesem Anblick standhalten würde.
    Die scheinbar reglose Maske vollkommener Schönheit bewegte sich jetzt: Die Lippen verzogen sich zu einem sanften, aber etwas selbstzufriedenen Lächeln. »Hast du genug gesehen, Tochter?«
    »Bitte ...«, stöhnte Briony. Es war, als versuchte man, direkt in die Sonne zu schauen. »Ja — genug!«
    Die Gestalt schrumpfte wie Pergament im Feuer, bis da wieder die alte Frau stand, verhutzelt und gebeugt. Lisiya hob einen knotigen Fingerknöchel ans Auge und wischte etwas weg. »Ah«, sagte sie. »Es tut weh, wieder schön zu sein. Nein, es tut weh, es wieder loszulassen.«
    »Ihr ... Ihr seid wirklich eine Göttin.«
    »Ich sagte es ja schon. Bei meinem heiligen Quell, ihr Menschenkinder heutzutage seid praktisch ungläubig, was? Holt einfach nur an heiligen Festtagen die Statuen heraus und murmelt ein paar fromme Worte. Nun ja, ich hoffe, du bist zufrieden, weil ich jetzt nämlich völlig erschöpft bin.« Die alte Frau ließ sich vorsichtig am Feuer nieder.
    »Es wird jedes Jahr schwerer, meine alte Erscheinung wieder heraufzubeschwören, und es verlangt mir jedes Mal mehr ab. Es naht die Stunde, da ich nichts mehr sein werde als das, was du vor dir siehst, und dann werde ich meinen letzten Gesang singen und schlafen bis ans Ende der Welt.«
    »Danke, dass Ihr mir geholfen habt.« Briony ging es viel besser — das war unbestreitbar. Die Nebel des Fiebers hatten sich verzogen, und der Atem rasselte nicht mehr in ihrer Lunge. »Aber ich verstehe das nicht. Gar nichts.«
    »Ich auch nicht. Die Musik hat verfügt, dass ich dich finden und dir zu essen geben soll und vielleicht auch noch meinen Rat

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