Das Spiel
— wobei ich da nicht mehr viel zu bieten habe. Dies ist nicht mehr meine Welt, schon lange nicht mehr.«
Briony konnte nicht anders, als die Alte anzustarren und zu versuchen, die schreckliche, herrliche Gestalt der Göttin unter all diesem runzligen, ledrigen Fleisch zu erkennen. »Ihr heißt ... Lisiya?«
»So nennt man mich, ja. Aber mein wahrer Name ist nur meiner Mutter bekannt und steht nur im großen Buch selbst, Kind, also denke nicht mal daran, mir zu gebieten.«
»Im großen Buch? Meint Ihr das Buch des Trigon?«
Sie erschrak, weil die Alte so schallend lachte. »Oh, das ist gut! Ein sehr guter Witz! Diese Ansammlung eigennütziger Lügen? Nicht mal die hochmütigen Brüder selbst würden versuchen, diesen Unsinn als Wahrheit zu verkaufen. Nein, ich meine die Geschichte all dessen, was ist und was sein wird — das Buch des Feuers in der Leere. Es ist der Quell der Musik, die selbst die Götter regiert.«
Briony war, als hätte sie eine Ohrfeige bekommen. »Ihr nennt das Buch des Trigon Lüge?«
Lisiya machte eine abfällige Handbewegung. »Keine vorsätzliche Lüge, das meiste jedenfalls nicht. Und es steckt wohl auch einige Wahrheit darin, ja, aber zur Unkenntlichkeit entstellt, wie etwas, das zu lange im Boden vergraben war.« Sie spähte zu dem Topf hinüber. »Tu uns Essen auf, Kind, bevor das ganze Wasser verkocht ist, dann werde ich versuchen, es dir zu erklären.«
Es war jetzt richtig dunkel, und trotz der bizarren Situation fielen Briony fast die Augen zu. Es hatte ihr Angst gemacht, Lisiyas Verwandlung zu sehen, das, was die Alte ihre wahre Erscheinung nannte, aber jetzt war sie in erster Linie beruhigt. Im Lager einer Waldgöttin konnte ihr ja wohl nichts passieren, oder? Außer, das Unheil ginge von der Göttin selbst aus, aber Lisiya schien ihr nichts Böses zu wollen.
»Gut«, sagte sie, als sie die Ringelblumenwurzelsuppe in sich hineinlöffelte.
»Das ist der Rosmarin. Gibt dem Ganzen ein feines Aroma. Also, das Lied, das du gesungen hast, ist ein gutes Beispiel für diesen modernen Unsinn, das meiste ist aus anderen Gedichten zusammengestohlen, und einiges kommt direkt aus dem Kanon des Trigonats, vor allem dieser Quatsch, dass Zosim Zoria geholfen habe. Zosim, der Trickster, hat in seinem ganzen Leben nie irgendjemandem etwas Gutes getan. Ich muss es wissen — er war schließlich mein Vetter.«
Briony konnte nur nicken und weiteressen. Es war herrlich, sich wieder gesund zu fühlen, auch wenn die Umstände noch so absurd waren. Sie würde morgen über alles nachdenken.
»Und Zoria. Sie wurde nicht geraubt, nicht so, wie die Surazemai immer behaupten. Sie ging freiwillig mit Khors. Sie hat ihn geliebt, das dumme, junge Ding.«
»Geliebt?«
»Sie lehren euch wirklich nichts als eigennützigen Quatsch, was? Die heroischen Surazemai, die bösen Onyenai, diesen ganzen Blödsinn. Schuld war Perin der Donnerer. Der alte Angeber, er wollte es so hinstellen, als sei nie ein anderer der Herrscher der Götter gewesen. Der Donnerer hieß er keineswegs nur wegen seines Hammers, sondern auch wegen seines ständigen Gebrülls. Ach, wo soll ich anfangen?«
Briony konnte sie nur benommen anstarren. Sie aß von den Ringelblumenwurzeln und fragte sich, wie lange sie wohl noch die Augen offen halten konnte, wenn Lisiya weiter von Dingen redete, die sie nicht verstand. »Mit dem Anfang ...?« Vielleicht konnte sie ja die Augen kurz zumachen, einfach nur um sie ein bisschen auszuruhen.
»Oh, bei meinem heiligen Hain, nein. Das ist übrigens nicht nur eine leere Beschwörungsformel — hier, wo du jetzt sitzt,
war
einst mein heiliger Hain.« Lisiya deutete mit der knotigen Hand auf die Lichtung um sie herum. »Hättest du das gedacht? Die Steine dieser Feuergrube waren einmal mein Altar, als mir die Menschen noch allesamt Verehrung zollten. Aber das ist, wie du siehst, alles schon seit Jahrhunderten zerstört — ein Blitzbrand hat mir meinen prächtigsten Baum genommen. Noch so ein Meisterstück des Donnerers, und ich habe noch nie geglaubt, dass es ein Versehen war. Auch schlafende Hunde vermögen noch zu knurren. Ach, er war so schön, der Ring von Birken, der hier stand. Die Rinde so weiß wie Schnee, doch im Mondschein glänzte sie wie Quecksilber ...« Lisiya hustete. »Ach, Erbarmen, ich bin so alt ...«
Briony rülpste. Sie hatte zu schnell gegessen.
Die Göttin runzelte die Stirn. »Allerliebst. Also, wo war ich? Ah ja, der Anfang. Nein, Kind, ich könnte niemals alles
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