Das Spiel
sehr alten Baums. »Manche habe ich bei mir nächtigen lassen, blutige Hände hin oder her. In meiner Jugend war ich da nicht so heikel.«
Es war sinnlos, das Gebrabbel der Alten verstehen zu wollen. Briony fröstelte und wünschte, das Feuer wäre groß genug, um wirklich Wärme zu spenden. Ihre Gastgeberin starrte sie an, während sie noch mehr Wurzeln in einen Tontopf gab, der auf Steinen am Rand des Feuers stand, und dann zwei Wildäpfel in Blätter wickelte. Als die Alte damit fertig war, streckte sie die Hand nach Briony aus. Briony wich zurück.
»Sei nicht dumm, Kind«, sagte die Alte. »Ich sehe doch, dass du krank bist. Komm, lass mich mal fühlen.« Die Alte legte eine Hand, so rau wie ein Hühnerfuß, auf Brionys Stirn. »Das ist ja ein böses Fieber. Und dazu hast du auch noch Verletzungen.« Sie schüttelte den Kopf. »Mal sehen, was ich tun kann. Sitz still.« Sie hob auch den anderen Arm und legte beide Hände flach an Brionys Schläfen. Erschrocken tastete Briony nach dem Messer in ihrem Stiefel, aber die Alte ließ ihre Hände einfach nur langsam kreisen.
»Komm heraus, Fieber«, sagte sie und begann dann, mit leiser, brüchiger Stimme zu singen. Die Worte verstand Briony nicht, aber ihr Kopf fühlte sich immer heißer an und auf so vibrierende Art lebendig wie ein Bienenstock im Hochsommer. Das Gefühl war so seltsam, dass sie zurückweichen wollte, aber ihre Muskeln gehorchten ihr nicht. Selbst ihr Herz, das doch wild hätte pochen müssen, während sie sich in einer so hilflosen Situation befand, tat es nicht. Es schlug ruhig und zufrieden vor sich hin, als wäre es das Normalste auf der Welt, dass einem eine uralte Fremde mit bloßen Händen den Kopf in Brand steckte.
Die Hitze wanderte aus ihrem Kopf in ihr Rückgrat und breitete sich in ihrem Körper aus. Sie fühlte sich knochenlos, haltlos: Als die Alte sie endlich losließ, schaffte es Briony nur mit Mühe, nicht vornüber zu sacken.
»Den Rest musst du selbst heilen«, sagte die alte Frau. »Puh! So viel Energie habe ich schon lange nicht mehr verausgabt.« Sie klatschte in die Hände. »Also, fühlst du dich jetzt wohl genug, um zu essen?« Als Briony nicht gleich antwortete, sagte die Alte, jetzt in schärferem Ton: »Briony Eddon, Tochter der Meriel, Enkelin der Krisanthe, wo sind deine Manieren? Ich habe dich etwas gefragt.«
Briony starrte sie einfach nur an, während ihr Denken ihrem Gehör hinterherhinkte. Ihre Finger wurden taub, und sie fühlte, wie sich ihr Kopf- und Nackenhaare sträubten. Sie riss das kleine Messer heraus und erhob es mit zitternder Hand. »Wer seid Ihr? Woher wisst Ihr meinen Namen? Was habt Ihr da gerade mit mir gemacht?«
Die Alte schüttelte den Kopf. »Jedes Mal. Beim heiligen, sich ewig erneuernden Herzholz, jedes Mal geht es so. Was ich gemacht habe? Dass es dir besser geht, du undankbare kleine Kratzbürste. Woher ich deinen Namen weiß? Ich weiß ihn, so wie ich alles weiß. Ich bin Lisiya Melana von der Silbernen Lichtung, eine der neun Töchter Birgyas, und ich bin die Schutzpatronin dieses Waldes, so wie meine Schwestern die Schutzpatroninnen der anderen Wälder Eions waren. Mein Vater war Volios der Gewaltige, verstehst du — ein Gott. Du kannst mich Lisiya nennen. Ich bin eine Göttin.«
»Ihr ... Ihr seid ...«
»Spreche ich so undeutlich? Nun ja, eine Halbgöttin. Als mein Vater noch jung war, zeugte er Nachkommen mit meiner Mutter, die ein Baumgeist war. Es war alles auf brutale Art sehr romantisch — aber glaub bloß nicht, dass mein Vater dageblieben wäre, um uns mit großzuziehen. Ich habe ihn nie ›Papa‹ genannt wie du deinen, habe nie auf seinem Schoß gesessen, während er mich unterm Kinn kraulte. So sind die Götter nicht — waren sie damals nicht und sind sie heute erst recht nicht.« Sie lachte über einen Witz, den nur sie verstand. »Wie Kater waren sie, und die Göttinnen waren auch nicht viel besser.«
Briony ließ das Messer in den Schoß sinken, steckte es aber nicht weg. Selbst wenn diese Frau völlig verrückt war, aufs Heilen verstand sie sich. Briony ging es viel besser. Sie fror immer noch, war müde und hatte Hunger, aber die Schwäche und das Elendsgefühl waren weg, und auch ihre vielen Verletzungen schienen verschwunden. »Ich ... ich weiß nicht ...«
»Du weißt nicht, was du sagen sollst. Natürlich weißt du's nicht, Tochter. Du hältst es für wahrscheinlich, dass ich verrückt bin, willst mich aber nicht beleidigen. In diesem konkreten Fall bist
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