Das Spiel
mir noch nie zuteil geworden.«
Sein neuer Gönner lächelte. »Stimmt nicht. Wie ich hörte, wurdet Ihr bereits von einer hochgeborenen Frau mit einer wichtigen Aufgabe betraut. Ist dem nicht so?«
Kettelsmit war klar, dass er aussah wie ein Kaninchen vor einer hin- und herpendelnden Schlange. »Ich verstehe nicht ganz, was Ihr meint, Herr.«
Tolly lehnte sich in seinem Stuhl zurück und grinste. »Ihr habt doch wohl nicht Euer Preisgedicht auf unsere geliebte Prinzessin Briony vergessen?«
»Oh! O nein, Herr. Nein, aber ... ich muss gestehen, meinem Herzen ist nicht mehr so danach ...«
»Seit sie verschwunden ist. Ja, dieses Gefühl teilen wir alle. Die arme Briony. Tapferes Mädchen!« Tolly machte sich gar nicht erst die Mühe, Betrübtheit zu mimen. »Wir warten alle auf ein Lebenszeichen von ihr.« Er beugte sich vor. Fretup war neben seinem Stuhl erschienen und raschelte wichtigtuerisch mit seinen Papieren. »Also, hört zu, Kettelsmit. Es scheint mir gut, einen Mann von Euren Gaben beschäftigt zu halten, daher möchte ich von Euch ein Versepos, für einen besonderen Anlass. Mein Bruder Caradon kommt hierher, am ersten Kerneiatag — Caradon, Herzog von Gronefeld? Das sagt Euch doch etwas?«
Kettelsmit merkte, dass er mit offenem Mund vor sich hingaffte, noch immer nicht sicher, ob er dieses Gespräch überleben würde. »Ja, gewiss, Herr. Euer älterer Bruder. Ein großartiger Mann ...«
Hendon schnitt die Elogen mit einer Handbewegung ab. »Ich möchte etwas Besonderes zu Ehren seines Besuchs und der Tatsache, dass wir Tollys ... unsere schützende Hand über Südmark halten. Ihr werdet ein Gedicht machen, etwas Passendes. Ihr werdet Eure Verse über den Sturz des Sveros schreiben.«
»Ihr meint Sveros, den Gott des Abendhimmels?«, fragte Kettelsmit verblüfft. Er konnte sich keinen der Tolly-Brüder als Liebhaber religiöser Dichtung vorstellen.
»Wen sonst? Ich möchte die Geschichte seiner Tyrannenherrschaft — und seiner Absetzung durch die drei Brüder.«
Er meinte den Trigon-Mythos: Wie Perin und seine Brüder Erivor und Kernios ihren grausamen Vater vernichteten. »Wenn das Euer Wunsch ist, Herr ... natürlich!«
»Dieser Stoff erscheint mir höchst angemessen.« Tolly grinste wieder, wobei er seine Zähne zeigte und Kettelsmit daran erinnerte, dass er selbst unter Wölfen ein Wolf war. »Drei Brüder, einer davon tot — denn Kernios wurde ja getötet, bevor er wieder ins Leben zurückkehrte —, die einen alten, nichtsnutzigen König stürzen müssen.« Er schnippte mit dem Finger. »Also los, an die Arbeit! Vergeudet keine Zeit. Wir wollen doch nicht, dass ein so begabter Bursche wie Ihr der Untätigkeit verfällt. Für junge Männer birgt das Gefahren.«
Drei Brüder, einer davon tot, die den König stürzen,
dachte Kettelsmit, während er sich vor seinem neuen Gönner verbeugte.
Das sind doch eindeutig die Tollys, die Olins Reich übernehmen. Er will, dass ich besinge, wie er den Thron von Südmark an sich reißt.
Während dieser Gedanke noch in ihm rumorte, folgte schon der nächste.
Er hat doch unterm Strich gesagt, er bringt mich um, wenn ich ihn irgendwie ärgere — wenn ich auch nur in Elans Nähe komme. Schlauer Zosim, Beschützer solch armer Narren wie mir, was soll ich bloß tun?
»Ihr werdet Euer Werk am ersten Kerneiaabend vortragen«, sagte Tolly. »Und jetzt geht.«
Ehe Kettelsmit in sein Quartier zurückkehrte, stolperte er in den Garten hinaus, damit er sich ungesehen in eine Buchsbaumhecke erbrechen konnte.
»Was hast du vor, Weib?« Brone versuchte aufzustehen, verzog aber vor Schmerz das Gesicht und sank wieder in seinen Stuhl.
»Sprecht nicht so mit mir. Ihr werdet mich mit ›Euer Gnaden‹ ansprechen.«
»Wir sind doch jetzt allein. Deshalb habt Ihr die Priesterin doch weggeschickt, oder?«
»Nicht, damit Ihr mich beleidigen oder wie eine Hausmagd behandeln könnt. Wir haben ein Problem, Brone, und damit meine ich uns beide.«
»Aber was habt Ihr Euch bloß gedacht? Da habt Ihr das Geheimnis so lange gehütet, und jetzt scheint es die ganze Burg zu wissen.«
»Übertreibt nicht.« Merolanna sah sich in dem kleinen Raum um. »Es ist ja schon schlimm genug, dass Ihr sitzen bleibt, wenn eine Dame hereinkommt, aber habt Ihr denn keinen Stuhl, den Ihr mir anbieten könntet? Ihr seid ja fast so ungehobelt wie Fretup.«
»Dieser elende, verräterische Hurensohn ...« Er knurrte wütend. »Hinter dem Schreibpult steht ein Hocker. Verzeiht, Merolanna, es ist
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