Das Spiel
dachte, hatte sich gefragt, warum sie diesen weiten Weg machten und wo die Leichen hingeschafft wurden. Jetzt erfuhr er es. Als der Wagen weiter dahinächzte, wurde es heller: Ganz offensichtlich war da noch eine andere Lichtquelle als nur die Fackeln hoch oben an der Felswand neben den Fahrspuren. Nur etwa hundert Meter weiter machte der Weg eine Biegung, dann eine weitere. Licht und ein Übelkeit erregender Geruch barsten ihnen entgegen, und diejenigen Gefangenen, die noch Kleidung oder Lumpen am Leib hatten, versuchten Mund und Nase zu bedecken. Der Gelbe konnte nicht mehr tun, als sich die Hand vor die Schnauze zu halten und die fingerförmigen Fortsätze zusammenzupressen, so wie ein Erwachsener die Hand eines Kindes festhält. Trotz der seltsamen Filterung seiner Wahrnehmung durch Gyirs Zauber roch Vansen verwesendes Fleisch — der reale Gestank musste jede Vorstellung übersteigen.
Einen Augenblick fühlte Vansen nicht nur das dumpfe Grauen des Waldwesens und sein eigenes, sondern auch einen Schwall von Entsetzen, der von Barrick kam, so als stünde der Junge direkt neben ihm oder vielleicht sogar
in
ihm. Barrick sträubte sich, er versuchte, der Szene da vor ihnen im lohenden Feuerschein irgendwie zu entkommen.
Nein!
Gyirs Gedanken kamen wie Hammerschläge.
Nicht wegschauen! Wartet!
Dutzende Wächter, viele in sackartigen Kapuzengewändern, die sie fast völlig verhüllten, wimmelten in der Kaverne durcheinander. Deren Boden bestand in einer Art Felssims rings um eine riesige viereckige Grube, die mit Leichen gefüllt war, Tausenden toter Kreaturen jedweder Art und Größe. Auf die obersten Körper wurde Erde geschaufelt, die andere Wächter mit Erzloren herbeikarrten. Überall brannten Feuer, hoch auflodernde Flammen an allen vier Ecken der Grube und kleinere, von den Wachen betreute Feuer an breiteren Stellen des Simses. Sie sollten wohl den Gestank vertreiben oder vertilgen. Rauch stieg auf, Funken schossen in die Höhe, und durch die Hitze und den Sog, den ein ständiger Luftzug aus den in die Kaverne einmündenden Stollen erzeugte, wirbelte der Gestank im Kreis, ehe er schließlich ins Dunkel emporstieg.
Nein. So viele ...! Das ist ...
Vansen wusste nicht, ob es seine eigenen Gedanken waren oder Barricks oder vielleicht auch Gyirs. Er wusste nur, dass der schreckliche Anblick verschwamm, als ob ihm Tränen in die Augen stiegen. Dann zerstob plötzlich alles in Dunkel, und er war wieder in seinem eigenen schwachen Körper, lag auf dem Zellenboden neben Gyir und Barrick, völlig erschöpft, von Übelkeit und Entsetzen erfüllt.
26
Südwind
Uvis Weißhand, Liebling des dunklen Zmeos, wurde von Kernios verwundet und sterbend vom Feld getragen. In seinem Zorn stürzte sich der Gehörnte auf Volios den Gewaltigen und stach mit seinem schrecklichen Schwert Weißfeuer auf ihn ein, bis das Blut des Kriegsgottes den Rimefluss rot färbte und Perins riesenhafter Sohn schließlich taumelte, fiel und starb.
Der Anbeginn der Dinge,
Buch des Trigon
Pinnimon Vash, Oberster Minister von Xis und der xixischen Besitzungen in ganz Xand, blickte missvergnügt auf die Gewänder in seinem Schrank. Drei Knaben, nackt bis auf kunstvollen Goldschmuck um Hals und Fesseln, kauerten ängstlich vor ihm auf dem Teppich. Die Sklaven wussten, was sie zu erwarten hatten, wenn ihr Herr übler Laune war.
»Wo ist meine Seidenrobe mit dem Nachtigallenwappen meiner Familie? Sie sollte hier hängen. Diese Robe ist mehr wert als eure gesamten Familien bis ins siebte Glied. Wo also ist sie?«
»Ihr habt sie wegbringen lassen, Herr, damit man sie säubert«, wagte nach langem Schweigen einer der Sklaven zu sagen.
»Ich ließ sie wegbringen, damit man sie säubert und wieder hierher bringt. Man hat sie nicht zurückgebracht. Ich gehe auf eine Reise. Dazu brauche ich die Nachtigallenrobe.«
Vash ging gerade mit sich zu Rate, welchen von den dreien er schlagen sollte und ob er wohl Zeit hatte, sich zwei vorzunehmen, als der Bote eintrat. Es war einer der Leoparden, in vollständiger Kriegsrüstung, sichtlich gewappnet für Zeiten des Feuers und des Blutes. Der Soldat stand kerzengerade in der Tür, salutierte, indem er mit der flachen Hand die Stirn berührte, und verkündete: »Unser Gebieter Sulepis, Herr des Großen Zeltes, wünscht Eure sofortige Aufwartung.«
Pinnimon Vash wusste seinen Verdruss sorgsam zu verbergen. In diesen Tagen allumfassender Umwälzungen war es nicht ratsam, irgendjemandem auch nur die kleinste
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