Das Spiel
noch Monate dauern würde, bis die Invasion stattfände, und hatte Plan um Plan geschmiedet, wie er das Mädchen aus der Stadt schmuggeln könnte. Er hatte schlimme Momente durchlebt, als es so aussah, als zöge das junge Ding das Augenmerk eines der hochrangigen Gefangenen in der Zitadelle auf sich, dieses Olin Eddon, König von Südmark, aber zu Vos Erleichterung war das wie auch immer geartete Interesse des Nordländers offenbar schnell wieder erloschen. Die Vorstellung, der Markenländer könnte das Mädchen zu seiner Geliebten machen, hatte Vo entsetzt: Nichts hätte ihm seine Aufgabe mehr erschwert, als die Xandierin vor der Nase der Wachen aus dem Palast des Protektors hinaus schaffen zu müssen. Doch jetzt war sie immer noch im Kossope-Haus und, soweit er feststellen konnte, ungeschützt.
In der Verwirrung, die der Angriff des Autarchen auslösen würde, konnte es nicht schwer sein, sie aus Hierosol hinauszubringen. Ja, wenn der Sieg der Invasoren schnell erfolgte, würde er sogar mit Sulepis' Schutzbrief in der Hand aus der Stadt marschieren und in Ehren vor den Lebenden Gott auf Erden selbst treten können, um ihm die Gefangene zu übergeben, seine Belohnung in Empfang zu nehmen — und, so hoffte er, von dem tödlichen Etwas in seinem Inneren befreit zu werden. Daikonas Vo war nicht so naiv, fest damit zu rechnen, dass das geschehen würde — warum sollte ihn der Autarch gerade dann von der Leine lassen, wenn er sich als nützlich erwiesen hatte? Aber der Goldene war bekannt für seine Launen, also würde er ja vielleicht, wenn Vo ihn zufriedenstellte, doch sein Versprechen halten.
Im Moment konnte Daikonas Vo sich nichts Besseres vorstellen, als einem mächtigen Herrn wie dem Autarchen Sulepis zu dienen, aber er war kein Narr: Ihm war klar, dass der Zeitpunkt kommen konnte, da er sich wünschen würde, nicht mehr an diesen lebenden Gott gebunden zu sein. Wenn der Autarch diesen Eindringling nicht sofort aus seinem Inneren entfernen würde, befand Vo, würde er wohl selbst eine Möglichkeit finden müssen, sich der tödlichen Kontrolle durch seinen Herrn zu entziehen, einfach nur sicherheitshalber.
Er erreichte das Gasthaus beim Theogontor. Die meisten Gäste schienen schon weg zu sein, da sie der Lärm der Glocken früher als sonst aus ihren von Flöhen besiedelten Betten gerissen hatte. Er erklomm die wacklige Stiege, ging in sein nunmehr leeres Zimmer, kroch unter die stinkende Decke und lauschte den Geräuschen der jäh vom Krieg geweckten Stadt. Alles würde jetzt anders werden. Der Tod würde mit seiner Knochenhand Tausende Menschenleben an sich reißen. Die Zerstörung würde alles um Vo herum verwandeln. Und er würde sich darin bewegen wie immer, stärker, schneller und schlauer als die anderen, ein Geschöpf, das sich in der Katastrophe einzurichten verstand und im Chaos erst richtig auflebte.
Es war wirklich aufregend, sich vorzustellen, was jetzt kommen würde. Er schloss die Augen und lauschte seinem eigenen Blut, das im Einklang mit den Schwingungen der Glocken rauschte und sirrte.
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Das Seekräuterweib
Shoshem der Trickster, ihr Vetter, kam zu Suya und gab ihr einen Schlaftrank, damit er sie in den Wirren des Götterkampfes rauben könnte. Doch als er sie davontrug, wurde sie vom schmerzhaften Prickeln des Sandsturmes wach und entfloh Shoshem. Sie verirrte sich im Sturm, und sein hinterlistiger Plan war gescheitert.
Offenbarungen des Nushash,
Erstes Buch
Matt Kettelsmit stand eine ganze Weile auf der schlammigen Straße im pladdernden Regen, erstaunt über seine eigene Schüchternheit. Was ihn so einschüchterte, war nicht der Gedanke, wieder in den
Wilden Sauschwanz
zurückzukehren, ja nicht einmal die Aussicht, Brigid gegenübertreten zu müssen, obwohl er keineswegs vergessen hatte, wie sie ihm bei ihrer letzten Begegnung einen Hieb verpasst hatte, der ihn Sternchen hatte sehen lassen. Nein, was ihm Angst machte, war, dass er eine Grenze überschreiten würde. Elan M'Cory, Schwester der Gemahlin des Herzogs von Gronefeld — wer war er, dass er irgendetwas mit ihr zu tun haben könnte, geschweige denn, sich in eine so weitreichende und gefährliche Entscheidung einzumischen hätte?
Courage, Mann,
dachte er.
Denk an Zosim, der nicht zögerte, Zoria, die Tochter des Himmelskönigs selbst, zu retten.
Kettelsmit hatte in letzter Zeit ziemlich viel über den Gott der Dichter und der Betrunkenen nachgedacht — er erwog, ihn zum Erzähler der Versdichtung zu machen, die Hendon Tolly
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