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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
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irgendwann nicht mehr weiterkämpfen, wenn sie hungrig und erschöpft sind oder begreifen, dass ihr Tod keinen anderen Sinn hat, als den Ruhm ihres Oberbefehlshabers zu mehren.«
    Sie starrte hinaus auf die blaugrüne Wasserfläche der Wasserstraße, richtete den Blick dann nach Süden, dorthin, wo irgendwo hinter dem Nebel die große Stadt Xis liegen musste, die endlosen Mauern so ausgedörrt und weiß wie bleiche Gebeine im Wüstensand. »Glaubt Ihr, dass das diesmal auch passiert? Dass wir ein Jahr Belagerung überstehen müssen — oder sogar noch mehr?«
    »Ich glaube nicht, dass es so schlimm kommen wird«, sagte Olin. »Ich vermute, dem gegenwärtigen Autarchen geht es nur darum, Hierosols Flotte und die Verteidiger der Stadt beschäftigt zu halten, damit er sich anderen, weniger gut geschützten Zielen zuwenden kann — vielleicht den sessischen Inseln, die sich ihm bis heute widersetzen.«
    Zum ersten Mal seit Beginn des Glockengeläuts war es Pelaya nicht mehr so eng um die Brust, dass sie kaum noch richtig atmen konnte. Ihr Vater und Olin sagten beide, dass alles gut gehen würde. Sie waren erwachsene, hochstehende und gebildete Männer: Sie kannten sich mit solchen Dingen aus. Zerstreut beschirmte sie die Augen mit der Hand und merkte dann erst, dass die Sonne ja in ihrem Rücken stand. Es war nur der tief hängende Nebel, der diese blendende Helligkeit auf dem Wasser hervorrief und es so schwer machte, den südlicheren Teil der Straße von Kulloan zu erkennen.
    »Pelaya? Was ist?«
    Jetzt erst wurde ihr bewusst, dass sie ein Gebet zu den Dreien murmelte, Worte, die sie von klein auf kannte, aber noch nie mit solcher Inbrunst gesprochen hatte wie jetzt. »Seht doch«, sagte sie.
    König Olin trat an die Mauer heran und spähte angestrengt über die Wasserstraße in Richtung des befestigten »Fingers«. »Ich kann nichts sehen. Eure Augen sind jung und scharf ...«
    »Nein, nicht da. Zum Meer hin.«
    Er drehte den Kopf und folgte ihrem Zeigefinger, und plötzlich setzten die Glocken wieder ein, auf dem gesamten Zitadellenhügel, so laut, als schlügen die Götter mit ihren Speeren gegen ihre Kampfschilde.
    Die riesige, tief hängende Schicht von stachligem Dämmerdunkel, die da von Südosten heranrollte, erschien Pelaya zunächst wie ein einziges Dickicht aus Bäumen und Wolken — als ob sich ein ganzer Wald von der Küste losgerissen hätte, mitten auf der Straße von Kulloan schwamm und auf die Mauern von Hierosol zutrieb. Erst als sie die Formen genauer ausmachen konnte, erkannte sie, dass es Schiffe waren. Und es dauerte noch ein Weilchen, bis sie begriff, dass das die Flotte des Autarchen war — Hunderte, ja vielleicht Tausende Kriegsschiffe, ein Schneesturm aus weißem Segeltuch, der da aus dem Nebel über Hierosol hereinbrach.
    »Siveda vom Weißen Stern, bewahre uns«, sagte Pelaya leise. Ihr eigener Name war plötzlich eine grausame Ironie — jetzt war das Meer der schlimmste Feind der Stadt. »Große Drei, bewahrt uns. Zoria und alle Himmel, bewahrt uns.« So viele Schiffe füllten die Straße von Kulloan, dass nicht einmal die Götter selbst, wenn sie herabblickten, noch das Wasser dazwischen erkennen konnten. »Möge uns der Himmel erretten.«
    »Amen, Kind«, flüsterte Olin Eddon neben ihr. »Falls denn der Himmel noch zusieht.«

    Die Straßen waren voller murmelnder Menschen, als Daikonas Vo sein Quartier erreichte, ein heruntergekommenes Gasthaus beim Theogontor, gleich innerhalb der alten Stadtmauer, am Fuß des armseligen Hügelfriedhofs, wo sich einst das Anwesen einer reichen Familie befunden hatte. Die enge Gasse hatte jetzt gar nichts Vornehmes mehr, aber das störte Vo nicht, und ein Haus voller durchreisender Logiergäste war für seine Zwecke genau das Richtige.
    Die meisten Leute strebten offenbar zum nächstgelegenen Trigonatstempel oder quer durch die Stadt zum Drei-Brüder-Tempel und zur Zitadelle. Als er auf dem Rückweg von der Festung über den Brunnenplatz gekommen war, hatten sich schon Hunderte von Bürgern vor dem Tor der Zitadelle geschart und ängstlich in den gerade erst grau werdenden Himmel geblickt, als erwarteten sie, dass ihnen dieser höchstselbst das Dröhnen der Glocken erklärte.
    Viele hatten den Grund für den Alarm erraten, und in die wütenden Rufe und Flüche gegen den Autarchen von Xis mengte sich auch das eine oder andere harte Wort über ihren eigenen so genannten Protektor, Ludis Drakava.
    Vo war natürlich erfreut. Er hatte geglaubt, dass es

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