Das Spiel
Er war verrückt geworden, das musste es sein. Sein Gedächtnis spie die schlimmsten Geschichten aus, die der Priester in Littelstell erzählt hatte, um ihm und den anderen Dorfkindern Angst einzujagen, damit sie den Göttern gehorsam waren.
»Perin Himmelsherr, in Lichtes Pracht«,
murmelte Vansen vor sich hin,
»Beschütze uns in finstrer Nacht
Erivor in silberner Wehr
Glätte für uns das wilde Meer
Kernios aus des Todes dunklem Land
Bewahre uns in Deiner Hand ...«
Aber es war sinnlos zu versuchen, sich an die Gebete seiner Kindheit zu erinnern — was konnte das jetzt helfen? Was konnte irgendetwas helfen? Die riesige Gestalt Kituyiks — so gewaltig, dass sie unter ihren Füßen Steine zu Pulver zermalmte, die ein kräftiger Mann nicht hätte heben können — humpelte auf sie zu, und ihre knirschenden Schritte klangen wie etwas, das so groß war wie die Welt und kaute, kaute, kaute ...
Verzagt nicht!
Die Worte kamen so heftig wie eine Ohrfeige.
Vansen drehte sich um und sah, dass Gyir immer noch aufrecht stand, obwohl sich seine Wachen zu Boden geworfen hatten. Im glatten Gesicht des Sturmlichts zeigte sich alles nur in den Augen, die von Aufregung und Angst geweitet waren, aber auch vor Wut lohten. Unmittelbar hinter Gyir schwankte Prinz Barrick wie von einem Sturmwind, selbst auf den Knien kaum fähig, das Gleichgewicht zu halten, das Gesicht im flackernden Fackellicht eine bleiche, verzerrte Maske. Ganz kurz sah Vansen die hübschen Züge der Schwester in denen des Bruders, und sein fast schon vergessenes Versprechen traf ihn wie ein Dolchstoß. Er durfte nicht aufgeben, solange noch Atem in ihm war — er hatte eine Verpflichtung zu erfüllen. Verzweiflung war Luxus.
Gebete an die Trigonbrüder schienen sinnlos an der Schwelle zum Haus des Erdvaters selbst. Plötzlich driftete ein anderes Gebet in sein Denken wie eine Aschenflocke in einem warmen Luftwirbel, ein sanfteres Gebet an eine sanftere Gottheit — eine Anrufung Zoriens, der Herrin der Tauben. Doch obwohl sich seine Lippen bewegten, ließ seine zusammengeschnürte Kehle die Worte nicht heraus.
Zoria, jungfräuliche Tochter, gib mir ... gib mir ...
Im nächsten Augenblick wurde alles, das Zoriengebet, Zoria selbst, sogar sein eigener Name, aus Ferras Vansens Kopf geblasen wie Blätter von einem eisigen Wind, als Kituyik vor ihnen stehen blieb und sich herabbeugte. Sein Gesicht war so groß, dass es schien, als wäre der von Kratern entstellte Mond vom Himmel gefallen.
»Ein Geschenk für euch.«
Die Stimme des Halbgottes erschütterte Vansens Knochen; sein Atem roch wie die Dämpfe aus einem Schmelzofen, heiß und metallisch.
»Ihr werdet Zeugen meines größten Augenblicks sein — und sogar daran beteiligt.«
Der Vorhang aus baumelnden Köpfen schwang, die Augenhöhlen blind starrend, die geschrumpften Lippen hilflos grinsend.
Ich werde bald zu ihnen stoßen,
dachte Vansen. Wie würden die Götter über ihn richten? Er hatte sein Bestes getan, aber dennoch versagt.
Kituyiks mächtiger, bärtiger Kopf drehte sich, um Vansen und seine Gefährten zu inspizieren, und Vansen musste wegschauen — das gerötete Auge des Gottes war so groß wie eine Kanonenkugel, die Kraft dieses musternden Blicks nicht zu ertragen.
»Euer Blut wird das Tor des Immon öffnen«,
polterte Kituyik,
»den Weg zum Thronsaal des Herrn des Drecks persönlich, dieses pissesaufenden Königs der Würmer, der mir mein Auge genommen hat. Und wenn sein Speer Erdstern mein ist, wenn sein mächtiger Thron mein ist, wenn ich seine Maske aus vergilbten Knochen trage, dann werde ich, selbst wenn die Götter einen Weg zurück finden, unter ihnen allen der Größte sein!«
Du bist wahnsinnig,
sagte Gyir verwundert. Viele im Raum hörten ihn: Angstgestöhn erhob sich, als ob die Sklaven, die die stummen Worte des Elben zu verstehen vermochten, damit rechneten, seine Strafe zu teilen.
»Unter Göttern gibt es keinen Wahnsinn!«
Kituyik lachte.
»Wie könnte mich jemand wahnsinnig nennen, wenn ich alles nach meinen Gedanken zu formen vermag? Bald wird das Tor aufgehen, das Blut wird fließen, und dann wird das, was ich sage ... sein.«
Mein Blut wird zu Staub vertrocknen, ehe ich zulasse, dass du um dieses Wahnsinns willen auch nur einen Tropfen davon vergießt.
Kituyik streckte eine riesige Hand aus, die Finger gespreizt, als wollte er Gyir zu Mus zerquetschen. Aber er versetzte ihm nur einen wedelnden Schlag und schleuderte den Qar-Krieger damit in einen Haufen kreischender
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