Das Spiel
Kaffs in Helmingsea.«
»Genug, Hendon«, sagte Caradon scharf. »Schick diesen leiernden Knaben weg — wir haben Männerdinge zu besprechen, und dieses kindische Pipapo hat mir schon genug von meiner kostbaren Zeit gestohlen.« Der Blick, den Hendon seinem Bruder zuwarf, erschien Kettelsmit überaus seltsam — eine Mischung aus Amüsiertheit und tödlichem Hass. »Aber gewiss doch, großer Bruder. Ihr dürft Euch zurückziehen, Dichter.«
Entsetzt begriff Kettelsmit, dass Hendon seinen Bruder eines Tages umzubringen gedachte. Und er begriff auch, dass Caradon das genau wusste und vermutlich mit seinem jüngeren Bruder dasselbe vorhatte. Beide gaben sich nicht viel Mühe, diese ihre Gefühle zu verbergen, nicht einmal vor einem Fremden. Wie konnte nur eine einzige Familie so viel Hass hervorbringen? Kein Wunder, dass Elan ihnen in den Tod entfliehen wollte.
»Natürlich«, sagte Kettelsmit und entfernte sich schleunigst rückwärts. »Ich bin schon weg. Seid bedankt, edle Herren.«
Immerhin bemerkte er mit einer gewissen Genugtuung, dass Erlon Meaher, ein anderer Hofdichter, der sehr von sich eingenommen war, sein Gespräch mit den beiden Tollys beobachtet hatte. Meahers Miene war eine unverhohlene Mischung aus Neid und Abneigung. »Nehmt Euch etwas Wein, Kettelsmit«, rief ihm Hendon Tolly nach. »Gedichte vorzutragen macht doch sicher fast so viel Durst, wie Leute zu töten — wenn auch vielleicht nicht ganz so viel Spaß.«
Es war die schwerste Stunde des Wartens, die er je durchlebt hatte. Er klopfte an ihre Tür, während die Glocken noch das Ende der Abendgebete verkündeten.
Elan M'Cory öffnete selbst, in einem schweren, schwarzen Übergewand. Sie hatte ihre Dienerinnen weggeschickt, um ihn zu schützen, begriff Kettelsmit, und war wieder einmal erstaunt, welch heftige Gefühle ihr Anblick in ihm auslöste.
Es war wohl der Wahnsinn der Verliebten — genau das, worüber er schon so oft geschrieben hatte. Insgeheim hatte er sich den Liebeskranken, wie sie in Gedichten vorkamen, immer überlegen gefühlt, fast schon hatte er sie verachtet, aber in diesen letzten Tagen, als er hatte feststellen müssen, dass er weder schlafen noch essen, trinken, stehen, sitzen oder reden konnte, ohne an Elan M'Cory zu denken, hatten sich die Dinge doch etwas anders dargestellt. Obwohl er in seinen Werken schon oft auf den »Schmerz des Glücks« oder die »süße Qual« angespielt hatte, war ihm doch bis jetzt nicht klar gewesen, dass diese Qual schlimmer sein konnte als jede andere, schlimmer als physischer Schmerz in den Beinen oder im Bauch, schlimmer sogar als das Kopfweh, das ihn nach durchzechten Nächten mit Kennit und Teodorus gepeinigt hatte und das ihm als unüberbietbares Elend erschienen war. Und es gab absolut kein Mittel, ein verwundetes Herz von dem Körper zu trennen, den es quälte — kein Mittel außer dem Tod. Erschrocken stellte er fest, dass er Elans Pein jetzt verstehen konnte, wenn sie auch ganz andere Ursachen hatte.
Er wollte ihre Hand ergreifen, aber sie ließ es nicht zu. »Lasst mich Euch ein letztes Mal anflehen, edles Fräulein, bitte, tut es nicht.« Es fühlte sich seltsam lahm an. Er kannte ihre Antwort schon und konnte sich selbst auch keinen anderen Ausweg vorstellen, aber er musste es einfach sagen.
»Matt, Ihr wart mir ein lieber, treuer Freund, und ich wünschte nichts mehr, als dass es eine andere Möglichkeit gäbe, aber es gibt für mich keinen anderen Ausweg. Hendon wird mich niemals aus seinen Klauen lassen. Er genießt meinen Schmerz zu sehr, und er würde Euch auf der Stelle töten, wenn er dächte, ich hegte Gefühle für Euch. Das könnte ich nicht ertragen.« Sie senkte den Kopf. »Bald gehört ihm auch Königin Anissa, wenn es nicht schon der Fall ist. Er macht ihr den Hof, als ob sie bereits Witwe wäre. Niemand kennt das wahre Ausmaß seiner Niedertracht.« Elan holte tief Luft, löste den Bindegürtel ihres Übergewandes und warf es ab. Er war regelrecht geblendet. Sie stand ganz in Weiß vor ihm wie eine Braut oder ein Geist.
»Habt Ihr es?«, fragte sie. Sie war nervös, aber auch glücklich, wie eine Frau am Tag ihrer Hochzeit. »Habt Ihr das, was mich retten wird, lieber Matty?«
Er schluckte. »Ja, ich habe es.« Er griff in die Tasche und fand das eingewickelte Fläschchen. Er hatte den Seetang, in den es ursprünglich verpackt gewesen war, durch ein Stückchen Samt ersetzt, das er Puzzle stibitzt hatte, aber der Geruch nach Meer war immer noch
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