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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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könnten mich im Handumdrehen töten lassen!
Als er daran denken musste, wie er sich erst vor wenigen Tagen seiner bevorstehenden Hinrichtung sicher gewesen war, hätte er um ein Haar den Faden verloren. Er musste sich zwingen, die Angst herunterzuschlucken und sich wieder auf seinen Text zu konzentrieren. Er breitete die Arme und deklamierte:
» ... Doch die drei Brüder, aus Diebstahl gezeugt,

Lauern schon auf ihres Planes Gelingen,

Wenn sich Sveros', des Vaters, Leben geneigt,

das Erbe des Perin an sich zu bringen.

Doch fromm sie zunächst sich allem fügen,

Verbergen hinter lächelnder Miene die Lügen,

Um die rechtmäß'gen Kinder des Sveros zu trügen ...«
    Ein paar Höflinge rutschten unruhig auf ihren Stühlen hin und her. Matt Kettelsmit, der zwischen der Angst vor dem Tod und der fast ebenso großen Furcht vor einer Blamage schwankte, fragte sich unwillkürlich, ob der Anfang seines Werkes vielleicht etwas zu lang geraten war. Immerhin kannte jedes Kind, das im Trigonatsglauben erzogen wurde, die Geschichte von den drei Brüdern und ihren berüchtigten Stiefgeschwistern nahezu auswendig, da sie bei jeder religiösen Feierlichkeit von neuem dargebracht wurde. Aber Hendon Tolly wollte jeden Zweifel an der Rechtmäßigkeit seiner Macht beseitigen, und so hatte er verlangt, dass in dem Gedicht so viel wie möglich von der selbstlosen Reinheit der Madi Surazem und der Niedertracht des alten Sveros', Herr des Zwielichts, die Rede sein solle — um auch gleich noch die Tugendhaftigkeit seiner Familie zu demonstrieren, vermutete Kettelsmit.
    Er schämte sich ein wenig, den selbstverliebten Blödsinn einer solchen Schlange wie Hendon Tolly herauszuposaunen, tröstete sich aber damit, dass kein Mensch in ganz Südmark so etwas wirklich glauben würde. Olin Eddon war einer der beliebtesten Regenten überhaupt gewesen, in seiner Jugend ein kühner Krieger und im Alter gerecht und weise. Er war alles andere als ein Sveros.
    Außerdem war Kettelsmit Dichter, und er sagte sich, dass Dichter sich nicht gegen die Mächtigen dieser Welt stellen konnten, jedenfalls nicht nur mit der Waffe des Wortes — aber selbst mit Worten mussten sie vorsichtig sein.
Wir Gefolgsleute des Schönen sind leicht zu töten,
dachte er.
Der Pöbel mag uns vielleicht hinterherweinen, wenn er begreift, was er mit uns verloren hat, aber das hilft uns auch nicht mehr, wenn wir schon tot sind.
    Hendon Tolly schien jedenfalls der Einzige zu sein, der den Versen mehr als allenfalls höfliches Interesse entgegenbrachte. Jetzt, da sein Bruder Caradon aufgehört hatte, die Versammelten zu mustern, und gelangweilt die Wandbehänge im Bankettsaal studierte, konnten die übrigen Höflinge endlich den Herzog beobachten und hinter vorgehaltener Hand über ihn tuscheln. Sie hatten fast alle an diesem Morgen in der Kälte ausgeharrt, als Caradon Tolly mit seinem Gefolge von Bord seines Schiffes gegangen und an der Spitze von vier Fünfzigschaften schwer bewaffneter Männer, deren Schilde das Eber-und-Speere-Wappen der Tollys trugen, in die Südmarksburg eingezogen war. Etwas in den grimmigen Gesichtern der Soldaten hatte selbst den unaufmerksamsten Burgbewohnern gesagt, dass die Tollys hier nicht nur ein Schaugepränge veranstalteten, sondern einen ganz realen Anspruch erhoben.
    Während Kettelsmit die Verse rezitierte, in denen es darum ging, wie die Trigonbrüder schließlich ihren grausamen Vater besiegten, trommelte Caradon unablässig mit den Fingern auf den Tisch und starrte ins Leere, doch sein Bruder Hendon beugte sich mit fast schon unnatürlich leuchtenden Augen vor, und um seine Lippen spielte ein Lächeln. Elan M'Cory hingegen schien immer mehr in sich zusammenzuschrumpfen. Kettelsmit konnte zwar ihre Augen erkennen, aber sie wirkten so kalt und leblos wie die der Gesichter auf den gespenstischen Gemälden der Ahnengalerie, jener längst verblichenen Adligen, die auf Dichter-Emporkömmlinge missfällig herabblickten. Matt Kettelsmits Verlangen und Furcht waren zu groß, als dass er Elan länger als einen Moment hätte anblicken können.
    Wie bei allen Geschichten über die Unsterblichen hatte er gemerkt, dass er seinem Werk nur dann ein glückliches Ende geben konnte, wenn er am richtigen Punkt aufhörte. Dies war immerhin ein Gedicht zur Feier einer Kindssegnung — da konnte er nicht gut den Hass schildern, der sich zwischen den Onyenai und Perins Surazemai entwickelte. Nicht einmal Hendon Tolly würde doch wohl von ihm erwarten, den

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