Das Spiel
nützte nichts, Zeit auf sinnlose Grübeleien über das Warum zu verschwenden. Graf Perivos übergab das Bündel Pläne seinem Sekretär und wandte sich an den Vorarbeiter. »Irinnis, sieh zu, dass die Männer alles geben — diese Außenmauer wird die Nacht nicht überdauern. Und vergiss nicht, dass die Mauer beim Brunnentor auch verstärkt werden muss — die Hälfte ist schon herabgebrochen.«
Der Graf eilte durch die Trümmerlandschaft davon, die einst der Garten der Kaiserin Thallo gewesen war, eine Oase der Ruhe, wo über Jahrhunderte hinweg sanftes Vogelgezwitscher das lauteste Geräusch gebildet hatte. Jetzt musste Perivos über Steinbrocken klettern, die aus dem Tor gefallen waren, und rauchende Löcher umgehen, die Kanonenkugeln in die Erde gerissen hatten: Dieser ganze Ort wirkte, als hätte ihn der Totengott Kernios unter seinem Stiefelabsatz zermalmt.
Inmitten von zwanzig Fünfzigschaften der grimmigsten Kämpfer der Stadt, die sein provisorisches Hauptquartier in der von Marmorsäulen getragenen Schatzkammer umringten, mochte Ludis Drakava, Protektor von Hierosol, durchaus Anlass haben, einen Aufstand im eigenen Lager mehr zu fürchten als die gewaltige Armee des Autarchen draußen vor den Mauern.
Verbittert musterte Perivos Akuanis das riesige Heerlager, während er rasch zwischen den Reihen der Soldaten hindurchging.
Seit Sonnenaufgang hätte es um ein Haar zwei Durchbrüche in der Nordmauer gegeben. Was nicht passiert wäre, wenn diese Männer nicht hier zurückgehalten würden —
tausend von sieben- bis achttausend ausgebildeten Soldaten in der ganzen Stadt, allem, was sie der Viertelmillion Männer des Autarchen entgegenzusetzen hatten. Der Rat der Siebenundzwanzig Familien hatte Ludis den Thron überlassen, damit ein starker Mann gegen den Autarchen von Xis stünde, selbst wenn es sie ihre eigene Macht kostete, aber allmählich sah es so aus, als hätten sie das eine aufgegeben, ohne das andere dafür zu bekommen.
Wenn die Schatzkammer von außen wie eine Festung wirkte, glich sie innen eher dem großen Drei-Brüder-Tempel: Ein halbes Dutzend schwarzgewandeter, langbärtiger Trigonatspriester scharten sich um den verpflanzten Jadethron wie ein Schwarm Krähen, und wie Krähen schienen sie mehr daran interessiert, umherzuhüpfen und zu krächzen, als daran, etwas Nützliches zu tun. Graf Perivos, der Ludis nie gemocht und ihm nie getraut hatte, fühlte in letzter Zeit dem Protektor gegenüber einen grimmigen, glühenden Hass, wie er ihn in seinem ganzen Leben noch nie gekannt hatte. Er hasste Ludis sogar noch mehr als den Autarchen von Xis. Sulepis war für ihn nur ein Name, in Ludis Drakavas breites Gesicht mit der vorspringenden Stirn aber musste er jeden Tag blicken und dabei seinen Zorn hinunterschlucken.
Der Protektor stand da und wedelte mit den Armen zu den Priestern hin, als wären sie wirklich Krähen. »Haut ab, ihr kreischenden alten Weiber! Und sagt Eurem Hierarchen, wenn er mich sprechen will, dann kann er mich selbst aufsuchen, aber die Tempel nutze ich so, wie ich es für richtig halte! Wir sind im Krieg!«
Die minderen Trigonatsvertreter schienen das Feld nur widerwillig zu räumen, obwohl sie einen klaren Befehl erhalten hatten, aber keiner von ihnen stand höher als im Rang eines Gemeindepriesters. Also strichen sie sich murrend den Bart und verzogen sich zur Tür. Ludis sah ihnen finster nach und ließ sich wieder auf den Thron sinken. Dann erst nahm er Graf Perivos wahr. »Ich kann wohl von Glück sagen, dass der Trigonarch damals von den Syanesen entführt wurde«, grollte Ludis, »sonst hätte ich den jetzt auch noch am Hals und müsste mir sein Gejammer anhören.« Seine Augen verengten sich. »Und was für unerfreuliche Nachrichten bringt Ihr mir, Akuanis?«
»Ich glaube, Ihr wisst, was mich hierher führt, obwohl ich es selbst erst vor einer halben Stunde erfahren habe. Was ist das für eine Geschichte mit Olin Eddon?«
Ludis setzte die Unschuldsmiene eines Kindes auf — recht bizarr bei einem stämmigen, bärtigen, mit Narben übersäten Mann. »Welche Geschichte?«
»Bitte, Protektor, behandelt mich nicht wie einen Idioten. Wollt Ihr mir erzählen, dass mit Olin Eddon nichts Ungewöhnliches vor sich gegangen ist? Dass er nicht urplötzlich aus seiner Zelle geholt wurde? Mir wurde zugetragen, er solle dem Autarchen übergeben werden, im Tausch für ... ich weiß nicht, wofür.«
»Nein, das wisst Ihr nicht. Und ich werde es Euch auch nicht erzählen.« Der
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