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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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langer, spitzer Dolch in seiner Hand — »und zwar aus hundert Schritten Entfernung. Ich kann dir in die Kniekehle zielen, dann wirst du nie mehr ohne Krücken gehen können. Ich kann ihn dir auch zwischen zwei Rückenwirbel jagen, dann wirst du überhaupt nie mehr gehen können. Aber ich würde es vorziehen, wenn ich dich nicht den ganzen Weg bis zum Goldenen tragen müsste. Wenn du also tust, was ich sage, dann bleibst du wohlbehalten.« Er stieß die Fetzen des Frauenkleides mit dem Fuß weg und schnitt sich dann mit dem Dolch einen Sack vom Leib, den er sich als Altweiberbauch umgebunden hatte.
    Qinnitan nahm Spatz in die Arme, damit er aufhörte zu zittern. »Aber ...« Angesichts dieses leeren, gefühllosen Gesichts fiel ihr nichts ein. Irgendwie hatte sie ja gewusst, dass dieser Tag kommen würde — sie hatte nur gehofft, es würde länger dauern als diese zwei kurzen Monate. »Ihr werdet dem Jungen nichts tun?«
    »Ich werde ihm nichts tun, wenn er keine Dummheiten macht. Aber er ist Eigentum des Autarchen, also bekommt ihn der Autarch auch zurück.«
    »Er ist kein Eigentum, er ist ein Kind! Er hat doch nichts Unrechtes getan.«
    Die leise Andeutung eines Lächelns huschte über das kalte Gesicht des Fremden, als ob er endlich etwas zu hören bekommen hätte, wofür es sich gelohnt hatte, an diesem Morgen aufzustehen. »Setz dich hin und streck die Beine aus.«
    Sie wollte etwas sagen, aber in einer verblüffend schnellen Bewegung war er plötzlich direkt vor ihr, und das Messer schwebte nur ein paar Fingerbreit vor ihrem Auge. Sie setzte sich auf die Stufen und streckte ihm die Füße hin. Er setzte ihr das Messer leicht an die Kehle und hielt es dort, indem er mit dem Daumen von der anderen Seite ihrer Luftröhre dagegen drückte. Dann schlang er einen Strick um eins ihrer Fußgelenke. Als er das andere Ende ums andere Fußgelenk gebunden hatte, war das Seilstück zwischen ihren Knöcheln etwa so lang wie ihr Unterarm. Er zog ein langes Kleid aus dem Sack — ein Kleid, wie sie es schon an Kammermägden gesehen hatte —, stülpte es ihr über den Kopf und zog sie dann mit einem Ruck auf die Beine. Als sie aufrecht stand, schleifte der Saum des Kleides fast auf den staubigen Fliesen, und die Fußfessel war vollständig verdeckt.
    »Versteht der Junge, was man sagt?«
    Qinnitan nickte dumpf und entmutigt. Ihr war gerade aufgegangen, dass die anderen, falls sie überhaupt nach ihr suchten, bei der Zahlmeisterei auf der anderen Seite des Palastgeländes nachsehen würden.
    Der blasse Mann wandte sich dem Jungen zu. »Wenn du wegzulaufen versuchst, schneide ich ihr die Nase ab, verstehst du? Den Autarchen kümmert das nicht.«
    Spatz sah den Mann aus schmalen Augenschlitzen an. Wenn er ein Hund gewesen wäre, hätte er jetzt geknurrt, oder, wahrscheinlicher noch, lautlos zugebissen. Schließlich nickte er.
    »Also, dann los.« Mit einem einzigen Fußtritt brachte der Mann den Jungen dazu, sich wimmernd aufzurichten, damit seine Fesseln durchtrennt werden konnten. Spatz rieb sich die Handgelenke und mied jeden Blickkontakt mit Qinnitan, aus Scham, weil er zu ihrer Ergreifung beigetragen hatte. »Keine Mätzchen«, forderte der Mann. »Es wäre Zeitvergeudung, wenn ich einen von euch töten oder verstümmeln müsste, würde aber letztlich auch nichts ändern. Los jetzt, bewegt euch.« Er zeigte zur Tür. »Wir wollen euren Herrn doch nicht warten lassen. Er ist längst nicht so geduldig und gütig wie ich.«
    Qinnitan trat ins helle Licht des verlassenen Hofs hinaus, und bei jedem mühsamen Schritt scheuerte der Strick an ihren Fußgelenken. Aber sie war zu betäubt vom Schock und zu leer, um zu weinen. Binnen weniger Herzschläge hatte sich alles verändert. Nur ein paar Dutzend Schritte weiter, im Kossope-Haus, warteten Freundinnen, ein eigenes Leben, alles, wonach sie sich so gesehnt hatte, aber das war jetzt verloren. Stattdessen gehörte sie jetzt wieder diesem Wahnsinnigen — diesem schrecklichen, herzlosen Gott auf Erden.

39

Die Stadt der Roten Sonne
    So fand sich Habbili, der Sohn des Nushash, ganz allein auf der Welt, nachdem ihn der grausame Argal zum Krüppel gemacht hatte. Er brach auf in den fernen Westen, meine Kinder, von dem nur Sagen berichten und wohin nie ein Mensch gereist ist. Dort, so heißt es, sprach er am einen Ende von Nushashs mächtiger Bahn mit seinem Vater und kehrte dann wieder in die uns bekannten Lande zurück.

Seinem Herrschervater erklärte er, dass er eines Tages die

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