Das Spiel
Kinder der Mutter Shusayem vernichten werde, und so geschah es auch.
Offenbarungen des Nushash,
Erstes Buch
Lange Zeit wanderte der Mann ohne Namen durch einen Wald aus schwarzen Pappeln und riesigen Zypressen, die sich in einem unfühlbaren, unhörbaren Wind neigten. Ein dunkler Fluss näherte sich dem Weg, schwenkte aber immer wieder ab und verschwand im Nebel. Weiden säumten den Fluss, so traurig und zitternd wie weinende Frauen, und ihre Zweige hingen knapp über dem lautlosen Wasser.
Der Mann hatte nicht die Kraft sich zu fragen, wo er war, oder wie er in dieses Land aus Nebel und Schatten gelangt war. Geraume Zeit konnte er gar nichts tun als zu laufen. Die Sonne war gänzlich abwesend, der Himmel eine schimmernde Leere, die weder dunkel noch hell war. Er war, dachte er, schon einmal an einem solchen Ort gewesen, in einem Land des ewigen Abends, aber zugleich war er sicher, dass er noch nie in dieser düsteren Gegend gewesen war. Das Einzige, was er kannte, war die leise Furcht, dass er, wenn er sich nicht weiterbewegte, genauso reglos und hoffnungslos würde wie die Schwarzpappeln um ihn herum — dass er vielleicht sogar in die schlammige, schmatzende Erde einsinken und selbst ein Baum werden würde.
Der Mann wünschte, jemand wäre bei ihm, eine Stimme, die sänge oder spräche oder auch nur weinte, irgendetwas, das die endlose Stille durchbräche. Er versuchte, es selbst zu tun, aber er hatte die Fähigkeit verloren, Worte und Geräusche zu erzeugen, so wie er auch seinen Namen verloren hatte. Es war sehr leise in diesem Land. Ein paar schwarze Vögel liefen auf den Ästen über ihm umher oder flatterten von Baum zu Baum, aber sie waren so stumm wie die Bäume und der Wind und das Wasser.
Er ging weiter.
Er hatte schon seit einiger Zeit huschende Schatten auf der anderen Seite des Flusses gesehen, vage Schemen von der Gestalt von Männern und Frauen. Jetzt sah er etwas anderes am jenseitigen Ufer, das ihn verwundert stehen bleiben ließ, aber er war sich immer noch unsicher. Er wünschte sich wieder, dass er eine Stimme hätte, damit er diese Schattenleute um Hilfe bitten könnte, weil er keine Stelle sah, wo er das Wasser überqueren könnte, und obwohl es langsam zu fließen schien, traute er seiner undurchsichtigen Stille nicht.
Aber was habe ich denn zu verlieren, selbst wenn mich das Wasser verschluckt?
Er hatte darauf keine unmittelbare Antwort, fühlte aber, dass er doch etwas besaß, irgendeine Art von Wahrheit, die er nicht aufgeben wollte, die das Wasser des Bachs jedoch davonspülen könnte.
Wie kann ich ihn dann überqueren?
Du kannst es nicht. Oder wenn du es doch tust, wirst du nie mehr vom anderen Ufer zurückkehren.
Ein nacktes kleines Mädchen von drei oder vier Jahren stand neben ihm, das helle Haar träge flatternd. Sein erster Gedanke war, dass er Mitleid mit der Kleinen haben müsste, weil sie so winzig war und dem Wind so ungeschützt preisgegeben. Dann blickte er in diese Augen aus geschmolzenem Gold, gesprenkelt mit Bernstein, und wusste, dass sie kein Kind war, oder zumindest kein sterbliches Kind.
Wer bist du?,
fragte er.
Auch ihre Stimme war nicht die eines Kindes, jedenfalls nicht die eines so kleinen. Jedes Wort war so bestimmt und so golden wie ihr Blick.
Eine, die bleibt, nachdem die anderen gegangen sind. Eine der älteren Hüterinnen dieses Ortes — nein, ›Hüterin‹ ist nicht richtig. ›Führerin‹ wäre besser. Und du brauchst offensichtlich Führung, kleiner Verirrter.
Aber ich will den Bach überqueren. Ich muss. Ich ... Ich glaube, dort jemanden zu sehen, den ich kenne.
Ein Grund mehr, es zu fürchten. Das ist die Art und Weise, wie sich die meisten von deinem Schlag in unserem Land verirren, indem sie jemandem folgen, den sie kennen oder zu kennen glauben. Du bist noch nicht so weit. Deine Zeit wird bald kommen — alle von deiner Art sind höchstens einen Wimpernschlag davon entfernt —, aber sie ist noch nicht da.
Er wusste nicht, was das alles zu bedeuten hatte. Wie sollte er auch, da er noch nicht einmal seinen eigenen Namen wusste? Aber das änderte nichts an dem, was er fühlte, dem Sog der anderen Seite.
Bitte.
Er streckte jetzt die Hand aus und versuchte, die Hand der Kleinen zu ergreifen, aber es war, als stünde sie auf dem Grund eines Wasserlaufs, der das Licht trügerisch brach. Wo auch immer er hinfasste, sie war nicht da.
Bitte. Ich habe ihm nie gesagt ... ich habe nicht ...
Zunächst war ihr Gesicht so ruhig wie eine
Weitere Kostenlose Bücher