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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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Marmormaske, doch dann veränderte es sich, als so etwas wie Mitleid darüber huschte.
Dann tu es auf eigene Gefahr,
sagte sie schließlich.
Nur, weil du durch einen unglücklichen Zufall hierhergekommen bist, ist das überhaupt möglich. Du darfst ihn überqueren — du darfst sowohl sehen, wie die Dinge sind, als auch, wie die Dinge waren —, aber du wirst Glück brauchen und stark sein müssen, um das dunkle Wasser ein zweites Mal zu überqueren und wieder herauszukommen.
    Er senkte den Kopf, beschämt wegen seiner Gier nach etwas, das er nicht einmal benennen konnte oder gänzlich verstand.
Du bist gütig.
    Güte ist nicht Teil dieser Gesetze, schon gar nicht, sobald du jenseits meines Einflusses bist.
Das Kindergesicht war ernst.
Dort sind die Regeln wie die Wege der Sterne durch das große Gewölbe, festgelegt und unbarmherzig. Du darfst keinerlei Speisen essen und keinerlei Geschenke annehmen. Und du darfst deinen Namen nicht vergessen.
    Aber ... aber ich weiß ihn nicht mehr.
Er sah sich in dem Hain von Pappeln um, deren Stämme in alle Richtungen davonmarschierten. Sein Name schien fast in Reichweite, aber er konnte ihn noch immer nicht herbeirufen, so sehr er sich auch bemühte.
    Das Kind schüttelte den Kopf.
Schon? Dann ist es umso närrischer von dir, ein solches Risiko auf dich zu nehmen. Nur die stärksten Herzen können die Stadt betreten und dennoch weiterleben.
Sie hob den winzigen, blassen Arm, und ein Boot glitt ans Ufer, ein Ding aus rostigen Nägeln und grauen, verwitterten Planken.
Nun gut, das ist das Letzte, was ich tun kann. Ich tue es im Andenken an einen wie dich, vor langer, langer Zeit, der ebenfalls sein Leben in meine Hände legte. Dein Name ist Ferras Vansen. Du bist ein Lebender. Nun geh.
    Und im nächsten Augenblick war er auf dem Fluss. Beide Ufer waren verschwunden, und da war nichts als Nebel.
     
    Er war lange Zeit auf dem schwarzen Wasser. Riesige Schemen bewegten sich direkt unter der Oberfläche, und manchmal schwankte das Boot, wenn sie unter ihm hindurchglitten; ein, zwei Mal durchbrachen die Wesen sogar die Wasseroberfläche und er sah ihre nasse Haut, schwarz und glänzend wie poliertes Metall. Sie berührten ihn nicht und bedrohten ihn in keiner Weise, aber er war sehr froh, dass er in einem Boot saß und nicht in der kalten, dunklen Strömung strampelte, während diese riesigen Wesen, angezogen von seiner Wärme und seiner Bewegung, unter ihm umherschwammen.
    Ferras Vansen. So heiße ich,
rief er sich in Erinnerung — hier auf dem Fluss konnte er beinahe spüren, wie ihm sein Name im vorbeiflutenden Nebel wieder entglitt. Er war ihm so einleuchtend erschienen, als ihn das Kind genannt hatte, so wahr, und doch wusste er, dass er ihm genauso leicht wieder abhanden kommen konnte wie dort im Wald der schwarzen Bäume.
    Wie bin ich in diese Lande gekommen?
Aber diese Erinnerung war sogar noch gründlicher verschwunden, als es sein Name gewesen war. Er wusste nur, dass das Kind gesagt hatte, er sei nicht auf die gleiche Art hierher gekommen wie die meisten Menschen —
unglücklicher Zufall,
hatte sie gesagt —, und irgendwie reichte das aus, um ihn zu trösten.
    Etwas fühlte sich seltsam an unter seinen Händen, unter seinen Füßen. Er schaute hinab und sah, dass das Boot nicht mehr aus grauem Holz bestand, sondern aus Schlangen — Hunderten von matt glänzenden Wesen, die ineinander verflochten waren wie das Reisig der Matten, die die alten Frauen herstellten, damit ihre Ehemänner, Söhne und Enkel den Ackerlehm von den Stiefeln streifen konnten. Aber es waren keine Zweige, es waren sich windende Schlangen. Er hob Hände und Füße, aber das half nichts: das gesamte Boot bestand aus Schlangen, und er konnte ihnen nicht entkommen.
    Während er das Schlangenboot noch entsetzt und verblüfft anstarrte, begann es sich vom Rand her aufzulösen; die Schlangen ganz oben am Dollbord glitten aus dem Geflecht heraus und fielen wie schwere Taue ins dunkle, ruhige Wasser. Immer mehr Schlangen lösten sich, erst einzeln oder zu zweit, dann schneller, bis das Wasser von allen Seiten hereinströmte und er auf nichts Festerem fuhr als einem Teppich aus kalten, peitschenden Kreaturen.
    Er sah auf und starrte hilflos in den Nebel vor sich, auf der Suche nach dem anderen Ufer, einem großen Stein im Fluss, irgendetwas, das ihn retten konnte. Die Schlangen fielen auseinander. Das Boot zerfiel. Er versuchte, sich an die Namen der Götter zu erinnern, damit er beten könnte, aber selbst

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