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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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leiden.«
    Utta half Merolanna aus dem Boot, und obwohl die Herzogin ihre langen Röcke nach bestem Vermögen raffte, hingen sie doch immer noch ins Wasser. »Warum können sie Euch nicht leiden?«
    »Die uns?« Rafe lachte, was ihn gleichzeitig normaler und weniger normal aussehen ließ. »Weil wir zurückgeblieben sind, oder etwa nicht?«
    Für weitere Fragen blieb Utta keine Zeit, da Merolanna gerade ausgerutscht und hingefallen war. Utta versuchte vergeblich, der im flachen Wasser zappelnden alten Frau aufzuhelfen, bis Rafe leichtfüßig aus dem Boot sprang, um mit anzupacken. Gemeinsam hievten sie die Herzoginwitwe wieder auf die Beine.
    »Barmherzige Zoria, schaut mich an!«, jammerte Merolanna. »Ich bin triefnass. Ich werde mir bestimmt den Tod holen.«
    »Wartet«, sagte der junge Skimmer, watete zum Boot und kam mit dem Seehundsfell zurück. »Legt Euch das um.«
    »Ich danke Euch«, sagte Merolanna mit einer Förmlichkeit, wie sie diese abgelegene Bucht wohl noch nie gesehen hatte. »Ihr seid sehr freundlich.«
    »Komme aber trotzdem nicht mit.« Rafe watete wieder zum Boot.
    »Euer Gnaden, ich hatte ja bereits den Verdacht, dass das keine gute Idee ist. Jetzt bin ich mir dessen sicher.« Schwester Utta bemühte sich, nicht zu den leeren Häusern beidseits der Hafenstraße hinüberzublicken, denn sie
fühlten
sich nicht leer an. Die schwarzen Fensterlöcher wirkten wie etwas viel Unheimlicheres, wie die Augenhöhlen von Totenschädeln oder finstere Drachenhöhlen. Selbst hier am Stadtrand, wo die Häuser niedrig und der Wind frisch waren, hingen immer noch Nebelfetzen wie Spinnweben, so dass man nur wenige Schritt weit sehen konnte. »Wir sollten lieber auf die Burg zurückkehren.«
    »Versucht nicht, mich umzustimmen, Schwester. Ich habe den weiten Weg auf mich genommen und werde jetzt auch mit den Zwielichtlern sprechen. Sie mögen mich töten, wenn sie wollen, aber ich will sie wenigstens fragen, was aus meinem Sohn geworden ist.«
    Aber wenn sie Euch töten, warum sollten sie mich dann laufen lassen?
Utta behielt diesen Gedanken für sich, nicht aus Rücksicht auf Merolannas Gefühle, sondern weil sie jetzt, da sie in dieser nebligen Traumwelt herumirrten wie Geister im Reiche Kernios', nicht mehr glaubte, dass es irgendetwas ändern würde. Utta wusste, dass sie, wie es der alte Spielerspruch ausdrückte, ihre Stäbe geworfen hatte und jetzt ihre Kupfermünzen herausrücken musste.
    Sie gingen — Merolanna bei jedem Schritt tropfend — langsam eine steil ansteigende Straße hinauf und traten hinaus auf das offene, regengesprenkelte Kopfsteinpflastergeviert des Blütenmarkts — kein Umschlagplatz für Blumen, sondern der Hauptfischmarkt von Südmarkstadt, dem sein berüchtigter Gestank diesen scherzhaften Namen eingetragen hatte. Außer einem immer noch strengen Geruch erinnerte nichts an alte Marktzeiten. Der Platz schien leer, die Markisen und Zelte waren verschwunden, die Menschen auf die Burg oder in südlichere Städte geflohen, aber Utta wurde das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Es verstärkte sich allenfalls, während sie und die Herzogin den Platz überquerten, und ihre Schritte wurden immer langsamer und mühsamer, als ob der Nebel ihre Knochen durchweichte und immer schwerer machte. So war es geradezu eine Erlösung, als sich eine Gestalt aus dem Schatten eines Torbogens löste und am Rand des Marktplatzes auf sie wartete.
    Den Kopf voller Geschichten aus den Büchern der Burgbibliothek und dem Mund ihrer vuttischen Großmutter, war Utta so ziemlich auf alles gefasst: Riesen, Ungeheuer oder auch wunderschöne, gottähnliche Wesen. Nur mit einem gewöhnlichen Sterblichen in einfacher, grob gewebter Kleidung hatte sie nicht gerechnet.
    »Wünsche einen guten Tag«, sagte er. Utta hielt ihn für einen der wenigen, die zurückgebheben waren, obwohl es unmöglich schien, dass er die Eroberung der Stadt durch die Zwielichtler unversehrt und unverändert überstanden haben sollte. Aber dann fiel ihr doch etwas Ungewöhnliches an ihm auf. Irgendetwas stimmte mit ihm nicht. Instinktiv wich sie zurück, als er auf sie zutrat.
    »Kein Grund, sich vor mir zu fürchten.« Er wandte sich an Merolanna und verbeugte sich. »Ihr seid die Herzogin, stimmt's? Ich habe Euch ein oder zwei Mal auf der Burg gesehen, nachdem sie mich freigelassen hatten.«
    »Freigelassen?«, sagte Merolanna. Utta starrte ihn an — irgendwie kam er ihr bekannt vor, obwohl er eins der unauffälligsten Gesichter hatte,

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