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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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die ihr je begegnet waren. »Wer seid Ihr, guter Mann?«
    »Man kannte mich viele Jahre unter dem Namen Gil, sonst hatte ich keinen. Jetzt heiße ich Kayyin ... wieder Kayyin. Meine Geschichte würde Euch vielleicht interessieren — ich fände sie wahrscheinlich auch interessant, wenn ich mich nur an alles erinnern könnte —, aber im Moment bin ich nur Eure Eskorte. Bitte folgt mir, ich werde Euch zu ihr bringen.«
    »Zu wem?«, fragte Merolanna. Utta schnürte Furcht die Kehle zu. Die Sonne versank hinter der mächtigen Seemauer und die ganze Stadt lag im Schatten. »Von wem redet Ihr, Kerl?«
    »Zur Herrin dieser Stadt. Ihr seid zu ihr befohlen.«
    »Befohlen?«, schnaubte Merolanna.
    »Jawohl, Euer Gnaden. Sie kann jedem befehlen — sie ist mächtiger als jede Königin.« Er schob sich behände zwischen sie beide und fasste sie an den Ellenbogen. »Selbst die Götter müssen sie fürchten. Sie ist nämlich eine Blutsverwandte des Todes selbst.«
    »Ihr seid wirklich ein impertinenter Mensch«, sagte Merolanna. »Was redet Ihr so rätselhaft? Wie seid Ihr überhaupt hierher gekommen?«
    »Ich spreche eigentümlich, weil ich kein Mensch bin«, erklärte er. »Ich bin auch kein Qar — nicht mehr, nachdem ich so lange als einer der Euren gelebt und vergessen habe, dass ich je etwas anderes war. Ich bin einzigartig — nicht mehr das eine und nicht mehr das andere.«
    Beunruhigt sah Utta, wie sich weitere Gestalten aus dem Schatten lösten und sich so lautlos hinter ihnen auf dem Marktplatz formierten wie eine Armee von Katzen. Als sie sich umdrehte, waren es bereits drei Dutzend große, schlanke Krieger, die sie unter ihren Helmen und Kapuzen anfunkelten. Ihr Herz raste, und das Blut gefror ihr in den Adern, aber sie sagte nichts. Mochte Merolanna sich noch ein paar letzte Augenblicke sicher wähnen.
    Die Herzogin schien in der Tat ihr Bestes zu tun, nichts zu bemerken. »Schämt Ihr Euch nicht, so zu reden?«, fragte sie ihren seltsamen Führer. »Ich halte nicht viel von jemandem, der so wetterwendisch ist, von sich zu behaupten: ›Ich bin weder das eine noch das andere‹ — schon gar nicht, wenn unsere beiden Völker im Krieg liegen!«
    »Wenn Ihr einem Fisch die Kiemen herausschneidet, Herzogin, verübelt Ihr's ihm dann, wenn er sagt, er gehört nicht mehr ins Wasser? Trotzdem macht ihn das noch lange nicht zu einem Menschen.« Als sie das andere Ende des nebligen Platzes erreicht hatten, blieb ihr Führer stehen und zeigte mit der Hand. »Wir sind da.«
    Vor ihnen erhoben sich die wuchtigen Türme des Rathauses, wo sich die führenden Männer der Stadt versammelt hatten, ein zweites Machtzentrum in Südmark, das sich zuweilen, in Zeiten schwacher Regenten und starker Räte, fast auf eine Stufe mit der Krone emporgeschwungen hatte. Der viereckige Mittelturm überragte noch immer die benachbarten Gebäude wie der Kamin eines riesigen unterirdischen Herrenhauses, aber der Rest des alten Rathauses wirkte irgendwie verändert. Es dauerte eine Weile, bis Utta erkannte, dass ein Geflecht von holzigen, dunklen Ranken den größten Teil des Gebäudes umhüllte, was die Konturen undeutlicher und die Fassade dunkler wirken ließ. Als sie das letzte Mal auf dem Blütenmarkt gewesen war, hatte es diese Ranken mit Sicherheit noch nicht gegeben, obwohl sie aussahen, als wären sie über Jahrhunderte gewachsen.
    Aus den drei Dutzend schweigenden Qar hinter ihnen waren jetzt Hunderte geworden, eine wahre Armee, die den ganzen Platz füllte, ein Wald von düster funkelnden Augen und bleichen, feindseligen Gesichtern. Manche hatten nicht einmal entfernte Ähnlichkeit mit gewöhnlichen Sterblichen. Utta schlug das Zeichen der Drei und kämpfte gegen den Drang an, sich von ihrem Führer loszureißen und davonzulaufen. Sie wandte sich zur Herzogin, um ihr etwas zuzuflüstern, doch Merolannas Miene verriet, dass ihr sehr wohl bewusst war, was vor sich ging, und sie nur so getan hatte, als hätte sie nichts bemerkt. Es war nicht Blindheit gewesen, sondern eine Art tapferer Trotz.
    Immer mehr Qar postierten sich vor ihnen und ließen nur eine schmale Gasse zu den Stufen des Rathauses.
    Zoria, vergib mir meine selbstsüchtigen Gedanken und meinen Stolz.
Utta beugte den Kopf und reckte ihn dann so stolz wie möglich, wie eine Gefangene auf dem Weg zum Galgen. Sie folgten dem Mann, der nicht wusste, was er war, die Stufen hinauf.
    Als ihre Augen sich an die Dunkelheit in der Haupthalle gewöhnt hatten, bemerkte sie erstaunt, wie

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