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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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Zunfthalle rannte.
    Bei dem ehrwürdigen Gebäude schien mehr los zu sein als sonst. Als er die Vordertreppe hinaufhumpelte, standen vor dem Eingang eine Menge wichtiger und unwichtiger Leute herum. Drinnen war es ebenfalls voll. Mehrere Männer begrüßten ihn, doch als er nur hastig fragte, ob sie Opalia und den Jungen gesehen hätten, erntete er Schulterzucken, Kopfschütteln und Verwunderung, dass er sich gar nicht dafür interessierte, was sie ihm zu erzählen hatten.
    Im Vorraum des Ratssaales wäre er beinah in Chaven hineingerannt. Der Arzt fing ihn ab und wartete geduldig, bis der erschöpfte Funderling wieder bei Atem war.
    »Ich warte sehnlich auf Eure Neuigkeiten«, sagte Chaven, »aber Eure Freunde vom Zunftrat haben mich dringend hierher gerufen. Offenbar ist ein Fremder — jemand von den Großwüchsigen, wie Ihr uns nennt — einfach in den Ratssaal hineingeplatzt. Alle sind ganz aufgebracht.«
    »Beim Herrn des Heißen Nassen Steins, geht nicht hinein!« Chert packte Chaven mit aller verbliebenen Kraft am Ärmel. »Genau deshalb bin ich ja ... hier. Das wird einer von Bruder Okros' Soldaten sein — vielleicht sogar Okros selbst!«
    »Okros? Wovon redet Ihr?« Der Arzt war jetzt ganz Ohr.
    »Ich werde es Euch ja erzählen, aber ... aber wenn sie schon in der Zunfthalle sind, kommt meine Nachricht vielleicht zu spät.« Chert sank keuchend zu Boden. »Ich will nur k-kurz Luft holen, dann m-muss ich Opalia suchen.«
    »Erzählt es mir zuerst«, sagte Chaven. »Die Hüter dieser Halle haben mir gesagt, es sei nur ein Mann. Vielleicht können wir ihn ja gefangen nehmen, ehe seinen Begleitern klar wird, wo er abgeblieben ist.« Er winkte ein paar andere Funderlinge herbei und hockte sich dann neben Chert. »Erzählt mir alles.«
    »Es spielt keine Rolle«, japste Chert. »Meine Familie ist weg, und ich kann sie nicht finden. Bald werden die Soldaten überall sein. Wir sind machtlos, Chaven.«
    »Mag sein.« Zum ersten Mal schien der Arzt sein altes Selbstbewusstsein wiedererlangt zu haben. »Aber deshalb werde ich mich diesem verräterischen Dieb Okros nicht kampflos ergeben.« Chaven wandte sich an die anderen Funderlinge, die sich um sie geschart hatten. »Einige von Euch müssen doch Waffen haben oder wenigstens Spitzhacken und Äxte. Holt sie. Wir schnappen uns zuerst den, der im Ratssal herumlungert, und bringen ihn dazu, uns zu verraten, wo seine Kumpane sind.«
    Sollten die Funderlinge jetzt allen Ernstes einem pummeligen Gelehrten in die Schlacht gegen Hendon Tolly und sämdiche Riesensoldaten der Südmarksburg folgen? Wenn Chert nicht eher zum Heulen zumute gewesen wäre, hätte ihn dieser makabre Scherz vielleicht sogar erheitert, so aber war sein einziger Gedanke, dass das Ende der Welt seines Volkes unmittelbar bevorstand und dass es vor allem seine Schuld war.

    »Bei allen Orakeln, ist das kalt hier draußen!«, schimpfte Merolanna mindestens zum fünften Mal. »Ich hätte mehr Pelze mitnehmen sollen. Gibt es auf diesem Boot denn gar nichts, um eine alte Frau vor dem Erfrieren zu bewahren?«
    Der junge Skimmer Rafe sah nicht von seinen Rudern auf. »Das hier ist schließlich keine Vergnügungsbark, oder? Ein Fischerboot ist es, sonst nichts. Aber vielleicht ist in dem Sack da noch ein Seehundsfell.«
    Die Herzogin wartete, dass Schwester Utta für sie nachsehen würde, doch als diese keine Anstalten machte, begann sie sichtlich widerwillig und laut seufzend in den Sachen unter der Bank herumzustochern. Utta, entschlossen, sich nicht erweichen zu lassen, schaute weg.
    Sie studierte wieder Rafe, ihren Ruderer und (jedenfalls solange sie auf dem Wasser waren) Führer durch unbekanntes Terrain. Es waren nicht nur die langen Arme, die ihn als Skimmer kennzeichneten, obwohl sie jetzt, da er gegen die kabbeligen Wasser der Brennsbucht anruderte, besonders in Erscheinung traten. Einige Unterschiede waren inzwischen mehr oder weniger unter dem dünnen Hemd verschwunden, das er offenbar eher als Zugeständnis an die Konvention denn als Schutz vor den eisigen Buchtwinden übergestreift hatte: Wie die Arme wirkte auch sein Nacken länger als bei anderen Leuten und bildete dort, wo er zwischen den Schultern in den Rücken überging, einen kleinen Höcker.
    Sein Kopf schien etwas nach vorn gekippt, als ob der Punkt, wo der Schädel mit den Halswirbeln verbunden war, bei ihm höher säße. Noch interessanter und verwirrender war jedoch die Bestätigung dessen, was Utta bisher für ein Gerücht gehalten

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