Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
denn gab, dann war ihr Einwirken auf das Schicksal der Menschen am ehesten launenhaft zu nennen und von purem Zufall kaum zu unterscheiden. Das einzige, woran Vo wirklich glaubte, war er selbst: Seine eigenen Vorlieben und Abneigungen bildeten seinen gesamten Kosmos. Und er wollte nicht, dass dieser Kosmos ein vorzeitiges Ende fand. Eine Welt, die sich nicht um Daikonas Vo drehte, war einfach nicht denkbar.
    Kaum jemand nahm Notiz von ihm, als er die belebte Hafenstraße entlangging, und diejenigen, die ihn anblickten, schienen ihn gar nicht wahrzunehmen, als ob er unsichtbar wäre. Das lag wohl zum Teil daran, dass er sich dank seiner perikalesischen Abstammung äußerlich kaum von den übrigen Passanten unterschied. Zudem war er eher schmächtig oder wirkte zumindest so: nicht ausgesprochen klein, aber gewiss nicht groß. Der Hauptgrund jedoch, weshalb er so wenig Aufmerksamkeit erregte, war, dass er es so wollte. Er hatte diesen Trick schon als Kind gelernt, wenn zuerst sein Vater und später die Liebhaber seiner Mutter betrunken und wütend durchs Haus gestampft waren oder aber seine Mutter ihrer schrillen Wut freien Lauf gelassen hatte. Der Trick des jungen Vo hatte darin bestanden, so still und unsichtbar zu werden, dass der Zorn an ihm vorübertobte wie ein Gewitter, während er in der schützenden Höhle seines eigenen Schweigens kauerte.
    Die Passanten mochten Vo nicht ansehen, aber er musterte sie. Er war der geborene Spion, getrieben von einer leicht verächtlichen Neugier jenen Wesen gegenüber, die ihm wie eine andere Spezies erschienen: Wesen, die ihre Gefühle so offen zur Schau trugen wie ihre Kleider, mit Gesichtern, die Furcht und Zorn spiegelten und etwas, das Vo als Freude zu identifizieren gelernt hatte, wenn er es auch mit seinen eigenen, abstrakteren Vergnügungen nicht in Verbindung bringen konnte. Sie waren wie Affen, diese gewöhnlichen Leute, die ihr Innenleben vor aller Öffentlichkeit ausbreiteten und noch als Erwachsene so ungehemmt grinsten und plärrten wie Kinder. In dieser Hinsicht unterschieden sich die Hierosoliner um ihn herum nicht sehr von den Xixiern, aber Letztere hatten immerhin den Anstand, ihre Frauen und Töchter vom Scheitel bis zur Sohle zu verhüllen, wenn auch aus anderen Motiven, als Vo es getan hätte. Hier in Hierosol liefen die Frauen offenbar herum, wie es ihnen beliebte, einige noch halbwegs anständig, mit weiten Gewändern und Schleiern oder Tüchern, die Kopf und Gesicht wenigstens teilweise bedeckten, andere aber fast so schamlos gekleidet wie die Männer: Hals, Schultern, Beine und vor allem das Gesicht entblößt. Natürlich hatte Vo schon nackte Frauen gesehen, viele sogar. Wie alle perikalesischen Söldner hatte er oft die Bordelle draußen vor dem Lilientor des Palastes aufgesucht, wenn es ihm dabei auch in erster Linie darum gegangen war, sich nicht auszuschließen, nicht aufzufallen, denn das war für ihn schlimmer als Schmerz. Er war mit den Frauen so verfahren, wie sie es ihm nahegelegt hatten, aber nach dem ersten Mal, als der Reiz des Ungewohnten verflogen war, hatten ihm die Besuche nur noch wenig bedeutet. Er begriff, dass der Kopulationsdrang eine der wichtigsten Triebfedern der Männer (und vielleicht sogar auch der Frauen) war, aber für ihn war das Ganze nur eine weitere animalische Körperfunktion, die sich vom Essen und Ausscheiden lediglich dadurch unterschied, dass man noch jemand anderen dazu brauchte.
    Vo blieb stehen und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Schiffe, die friedlich in der leisen Hafendünung dümpelten, Seite an Seite am Kai vertäut wie Kühe im Stall. Das dort mit dem schlanken Bug, so schnittig wie die Schnauze eines Windhunds — das musste das Schiff sein, das er suchte. Der in geschwungenen xixischen Buchstaben aufgemalte Name war ihm zwar unbekannt, aber einen Namen konnte man leicht ändern. Die Form eines so schnellen Schiffes, wie es Jeddin besessen hatte, ließ sich hingegen kaum tarnen.
    Daikonas Vo näherte sich der Laufplanke und blickte zum Deck empor. Das Schiff wirkte nahezu verlassen. Vielleicht war Kapitän Dorza ja gar nicht an Bord. In diesem Fall würde er sich eben zu ihm durchfragen. Er war zuversichtlich, dass er aus Axamis Dorza alles herausbekommen würde, was er brauchte. Es war doch äußerst unwahrscheinlich, dass der Kapitän rein zufällig just in jener Nacht mit dem Schiff des in Ungnade gefallenen Jeddin in See gestochen sein sollte, in der der Leopardenhauptmann verhaftet worden

Weitere Kostenlose Bücher